Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Sie hatte schöne Kleider und Schmuck und trank ihren Wein von einem silbernen Tablett« – er wies auf das Tablett auf dem Tisch –, »doch sie durfte die Burg niemals verlassen. Gar kein so schlechtes Leben, meint Ihr nicht auch?«
Ich blieb bei meinem Schweigen.
In ernsthafterem Ton fuhr er fort: »Der Kaiser kommt nach Gent. Sein Heer befindet sich schon auf dem Marsch nach Norden, auf Frankreich zu. Er führt fünfundzwanzig weiße spanische Pferde mit sich, als Geschenk für König Franz zum Dank dafür, dass er ihm sichere Durchreise gewährt. Die Genter zittern vor Angst, seit sie vor zwei Tagen diese Nachricht erhalten haben. Um ihr Leben zu retten, suchen sie jetzt wieder die Gunst der Statthalterin, doch dafür ist es zu spät. Sie haben beschlossen, die wenigen, die treu zum Kaiser stehen, nicht weiter zu unterdrücken.« Er griff nach seinem Becher und hob ihn mir wie zum Gruß entgegen. »Und damit sind wir gemeint. Nichts hindert uns mehr daran, noch heute dem Gravensteen den Rücken zu kehren. Wenn wir mit gebotener Geschwindigkeit reisen, erreichen wir England noch vor Anna von Kleve.«
»Jacquard«, sagte ich, »ich werde diese Burg nicht verlassen, um den König zu töten.«
Flüchtig trübte Enttäuschung seinen Blick. Dann lächelte er und fragte: »Gefällt Euch das Kleid?« Er strich mit dem Finger über einen Ärmel. »Es ist das einzige saubere, das ich Euch bieten kann. Wenn Ihr mit mir nach Antwerpen reisen würdet, könnte ich Euch dort sechs neue Kleider kaufen.« Er lachte. »Aber ich muss gestehen, ich wollte Euch immer einmal wie eine Hure gekleidet sehen. Und ich hatte recht – es kleidet Euch.«
Ich trat einen Schritt zurück.
»Ich gehe jetzt wieder in meine Zelle.«
Er griff nach dem Dolch in seinem Wams. »Ich glaube, wir werden Euch ein anderes Zimmer geben. Ihr weigert Euch, abzureisen und Euren Auftrag zu erfüllen? Gut. Der Kaiser dürftemeiner Berechnung nach im Januar oder vielleicht im Februar eintreffen. Um diese Zeit ist das Reisen über Land beschwerlich. Warum ihn nicht in aller Behaglichkeit erwarten?«
»Ich suche keine Behaglichkeit«, entgegnete ich.
Er lachte. »Ich wusste, dass Ihr das sagen würdet. Es ist beinahe so, als wären wir wirklich verheiratet. Ich weiß schon vor Euch, was Ihr sagen oder tun werdet.«
Wie ein Blitz traf mich die Erkenntnis. »Ihr habt Edmund nicht in Eurer Gewalt«, sagte ich. »Sonst würdet Ihr mich damit erpressen, nach England zu reisen.«
Jacquard hob in ratloser Geste die Hände. »Selbst die eifrigsten Spürhunde des Kaisers haben Mühe, in den Schwarzwald vorzudringen.«
Obwohl das Wort Schwarzwald einen unheimlichen Klang hatte, überschwemmte mich eine Welle der Erleichterung. Die einzige Drohung, die nun noch blieb, war die Inquisition. Und ich war bereit, mich dem Urteil der Dominikaner und Christi zu stellen, wenn es so weit kommen sollte.
Jacquard winkte mich zu sich. »Da wir Mann und Frau sind, könnten wir uns doch die zwei Monate bis zur Ankunft des Kaisers dieses Zimmer teilen. Ich habe alle Wärter bis auf einen entlassen. Doch zu essen ist genug da. Ich habe die Schlüssel zur Burg.« Er klopfte auf seine Tasche, und ich hörte das Klirren. »Das könnten sehr kalte Wochen werden. Da schläft man am besten hier am Feuer.«
Welch ein Vergnügen es ihm stets bereitete, mich in Verlegenheit zu bringen. Selbst jetzt hatte er seine helle Freude an meinem Unbehagen.
»Wenn Ihr ein braves Weibchen seid«, sagte er, »lasse ich Euch vielleicht entkommen, bevor der Kaiser in Gent eintrifft.«
Jetzt war ich es, die lachte. »Niemals würdet Ihr das tun.«
»Ihr glaubt, dass ich Euch keinerlei Gefühle entgegenbringe – dass ich Euch hasse?«, fragte er verwundert. »Ihr irrt Euch. Ich bin außerordentlich enttäuscht von Euch, Joanna Stafford. Ich habe oftmals Zorn verspürt. Doch wenigstens kennen wir jetztdie ganze Prophezeiung und können mit Hilfe Eures Ersatzes dafür sorgen, dass sie erfüllt wird.« Er lächelte. »Ich muss gestehen, Ihr seid eine höchst ungewöhnliche Frau. Eure Willenskraft erstaunt mich. Sie erstaunt uns alle. Ich spreche die Wahrheit, wenn ich sage, dass ich Euren Tod nicht wünsche.«
»Aber ich würde lieber sterben, als Euch zu Willen zu sein, Jacquard, und ich würde lieber sterben, als Euch auch nur einen Tag länger zu dienen«, schrie ich ihn an. »Ich ertrage es nicht mehr. Ihr und Chapuys – und Euer Kaiser – Ihr seid mir widerwärtig!«
Von dem neckenden Ton
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