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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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schneller laufen zu können, kam Schwester Winifred uns nach. »Haltet an. Was tut Ihr denn?«
    Ich bedeutete den Männern, sie durchzulassen.
    »Ich reise auf Besuch zu meinen Verwandten«, sagte ich. »In einem Monat bin ich wieder zurück.«
    »Ich verstehe Euch nicht.« Sie weinte. »Wann habt Ihr das beschlossen?«
    »Heute.« Bruder Edmund wird es auch nicht verstehen , dachte ich bedrückt. Wie hatte ich eine solche Entscheidung treffen können,ohne mit ihm zu sprechen? Und wie würde er es aufnehmen, dass ich fortgegangen war, ohne ihm Lebewohl zu sagen?
    Zwei Pferde vor mir wandte Gertrude Courtenay den Kopf. Mit einem kurzen Winken versuchte ich, ihr zu verstehen zu geben, dass alles in Ordnung war und sie nicht einzugreifen brauchte.
    »Bitte, Schwester Winifred, bitte regt Euch nicht auf.« Ich beugte mich zu ihr hinunter. »Ich schreibe Euch – gleich morgen, und erkläre euch und Bruder Edmund alles.«
    Schwester Winifred, die neben meinem Pferd hergelaufen war, hielt an und blieb auf der Straße zurück, während wir weiterzogen. Schließlich richtete ich den Blick wieder nach vorn. Sekunden später hörte ich sie laut rufen: »Möge Gott Euch bewahren, Schwester Joanna.«
    Seinen Artgenossen folgend, bog mein Pferd auf die große Straße nach London ein, die linker Hand von üppigen Apfelpflanzungen gesäumt war. Einige Leitern lehnten noch an den Stämmen. Es war Erntezeit. Das Licht der tiefstehenden Herbstsonne funkelte auf den Blättern, und ich schloss einen Moment die Augen.
    Plötzlich gab es lautes Geschrei auf der Straße. John stürmte, wild mit seinem Stock fuchtelnd, aus der Obstpflanzung. »Sehet die Schlangenbrut, die eine Tochter Satans in ihren Schoß aufgenommen hat.«
    Gertrude gab einem der Bediensteten ein Zeichen. Ich preschte auf meinem Pferd nach vorn, um zu verhindern, dass John zu Schaden kam. »Tut ihm nichts, ich bitte Euch«, sagte ich. »John ist nicht bei Sinnen – er ist ein armes Geschöpf Gottes.«
    Henry Courtenay nickte und gebot seinen Leuten, etwas anderes zu tun. Ein Schauer von Münzen ging zu Johns schmutzigen Füßen nieder.
    Er hob die Geldstücke nicht auf. Wie angewurzelt stand er am Straßenrand und predigte: »Bereitet dem Schicksal den Weg – ihr müsst bereit sein, ihr alle, die ihr vor Gott gesündigt habt. Er erkennt eure falsche Reue, die nichts ist als Heuchelei.«
    Gertrude drückte die Hand auf den Mund. Johns Geschwafel machte ihr Angst. Henry rief laut: »Wir reiten weiter.«
    Unser Zug setzte sich wieder in Bewegung. Ich betete zu Gott, dass John uns nicht folgen würde. Die Geduld der Courtenays hatte ohne Zweifel Grenzen.
    Er folgte uns nicht, aber er schwieg auch nicht. Seine schrille Stimme hallte noch in meinen Ohren wider, nachdem wir Dartford lange hinter uns gelassen hatten. »Der Tag der Abrechnung wird kommen«, schrie John. »Armageddon steht bevor, und es wird euch alle verschlingen.«

ZWEITER TEIL

Kapitel 7
    Die Suffolk Lane konnte es nur im Herzen von London geben. Rundherum wogten Getöse und Gestank und die abgestumpften Menschenmassen der Stadt. Doch die kurze, schmale Suffolk Lane war eine Oase der Stille, ein Refugium der Geborgenheit. Auf der Westseite beherrschte ein stattliches Herrenhaus aus rotem Backstein die enge, mit Kopfsteinen gepflasterte Straße. Es war vor beinahe zweihundert Jahren unter ungeheuren Kosten von einem Kaufmann aus Middlesex errichtet worden, der fünfmal nacheinander zum Bürgermeister von London berufen worden war und seinem teuren Haus einen Namen gegeben hatte: Red Rose. Nach seinem Tod ging das Haus in die gierigen Hände des Adels über. Mein Verwandter Henry Courtenay hatte es zwei Jahre nach seiner Hochzeit mit Gertrude Blount gekauft, und dort lebte ich während meines Aufenthalts in London.
    Mein Zimmer befand sich im zweiten Stockwerk, nahe der Südwestecke des Hauses zur Lower Thames Street, einer großen Durchfahrtsstraße, die den Windungen des Flusses folgte wie ein nervöser Liebhaber den Spuren seiner Angebeteten. Am Mittwochmorgen in der zweiten Woche meines Aufenthalts vernahm ich von der Lower Thames Street her die schallende Stimme eines Mannes; nach dem unsinnigen Gefasel eines armen Irren hörte sich seine Rede nicht an. Als ich zum Fenster hinausschaute, sah ich ihn in königlicher Uniform kerzengerade an der Straßenecke stehen: den Stadtausrufer. Ich konnte nur zwei Worte der Proklamation ausmachen: »Kaiser Karl«.
    Es schickte sich nicht für eine Dame, das Fenster

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