Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
erlitten und wildes Zeug von Raben und Hunden gefaselt habe. Was vorher geschehen war, unterschlug ich, da ich wusste, wie empfänglich meine Mutter für alles Übersinnliche war. Ich wollte verhindern, dass sie weitere Weisung suchte oder mich drängte, den Weg zur Erfüllung der Prophezeiung zu beschreiten.
Obwohl mich das Erlebnis in St. Sepulchre beinahe ebenso heftig erschütterte wie damals George Boleyns gemeiner Angriff auf meine Unschuld, zog ich mich danach nicht von Neuem in die Tiefen der Melancholie zurück. Vielmehr tat ich allen und jedem kund, dass ich fortan auf Stafford Castle zu leben gedachte. Wenn mir außerhalb der dicken Mauern der Burg meiner Vorfahren Gefahr drohte, würde ich eben in den Midlands bleiben. Wie sich zeigte, wollte es das Schicksal ohnehin so. Nicht ich erkrankte in jenem Winter, sondern meine Mutter. Von einem Leiden heimgesucht, von dem sie sich nie mehr erholte, war sie jahrelang auf meine Betreuung angewiesen. Es war keine Rede mehr davon, eine Stellung bei Hof oder einen Ehemann für mich zu finden. Alle Pläne hinsichtlich meiner Zukunft – alle Erwägungen, dass ich der Familie Stafford durch Dienst bei Hofe oder durch einevornehme Heirat nützlich sein könnte – traten in den Hintergrund. Mein Platz war nun zu Hause, wo es galt, meine Mutter zu pflegen, meinem Vater Gesellschaft zu leisten und Lady Ursula, der Gemahlin meines Cousins Henry Stafford, die jedes Jahr ein Kind bekam, zur Hand zu gehen.
Ich hörte in dieser Zeit immer wieder von Schwester Elizabeth Barton. Jeder hörte von ihr, sie gelangte wenige Monate nach meinem Besuch bei ihr zu Berühmtheit. In der Tat reisten zwei Kardinäle durch Canterbury: Kardinal Thomas Wolsey, der Lordkanzler des Königs, begleitete Kardinal Lorenzo Campeggio nach London, wo der päpstliche Legat vergebens versuchte, den König von der geplanten Scheidung von Katharina von Aragón abzubringen. In Canterbury erwirkte Schwester Elizabeth eine Audienz bei Kardinal Wolsey und warnte ihn vor den Gefahren einer Scheidung. Im Lauf der folgenden Jahre traf sie mit zahlreichen wichtigen Persönlichkeiten zusammen und beschwor sie, den König zu bewegen, von seinen Scheidungsplänen abzulassen. Zweimal stand sie dem König selbst gegenüber. Bei dieser zweiten Begegnung sagte sie ihm, wenn er Anne Boleyn heirate, werde er innerhalb von drei Monaten tot sein. Er heiratete sie dennoch, im Jahr 1533.
Und als sich nach Ablauf der drei Monate die Prophezeiung nicht erfüllte und somit als falsch erwies, ließ er Schwester Elizabeth Barton und ihre Anhänger wegen Hochverrats festnehmen. Immer wieder wurde sie im Tower of London verhört, bis sie schließlich einen Widerruf ihrer Vorhersagen unterzeichnete und daraufhin im Frühjahr 1534 zusammen mit einer Handvoll ihrer Anhänger in Tyburn hingerichtet wurde. Das Privileg, im Tower of London gerichtet zu werden, wurde ihr auf Grund ihrer niederen Geburt versagt.
Ihr Schicksal dauerte mich, aber ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich auch erleichtert war. Sie hatte alle ihre Weissagungen öffentlich widerrufen und erklärt, dass die Männer in ihrer Umgebung ihr diese Ideen in den Kopf gesetzt hätten. Einige glaubten, Schwester Elizabeth sei ein Werkzeug der Leutegewesen, die die königliche Scheidung verhindern wollten; andere behaupteten, sie sei verrückt gewesen. Oder von einer Krankheit besessen, die ihr alle Kraft raubte und den Schaum vor den Mund trieb. Ganz gleich, für mich bedeutete ihr Widerruf, dass nichts von dem, was sie zu mir gesagt hatte, zu glauben war. Ich war nicht ausersehen, irgendeine schreckliche Aufgabe zu vollbringen. Als ich später anstelle meiner verstorbenen Mutter an die Seite der sterbenskranken Katharina von Aragón eilte und nach ihrem Tod ins Kloster Dartford eintrat, dachte ich längst nicht mehr an Schwester Elizabeths Prophezeiung, dass mir bei der Entwicklung der künftigen Geschicke des Königreichs eine entscheidende Rolle bestimmt sei. Und als Bischof Gardiner mich zwang, zum Werkzeug seiner Intrigen zu werden, brachte ich das keinen Moment mit Schwester Elizabeths Prophezeiung in Verbindung. Meine Suche nach der legendären Athelstan-Krone, die angeblich das Königreich retten sollte, hatte damit nichts zu tun.
Dennoch mied ich jede Berührung mit Astrologen, Sehern, Mystikern, weisen Frauen und ähnlichen dem Übersinnlichen zugewandten Menschen. Schwester Elizabeth hatte gesagt, dass zwei Seher ihr folgen würden. Und das konnte ich
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