Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
aufzureißen und sich hinauszulehnen. Ich öffnete meines trotzdem, um besserhören zu können. Ein nasskalter Luftzug fuhr fauchend in mein wohlriechendes Schlafgemach.
»Die muselmanischen Türken besiegen die Flotte des christlichen Kaisers Karl vor Preveza«, verkündete der junge Mann allen, die es hören wollten. »Dreizehn kaiserliche Schiffe sind verloren, dreitausend Christen in die Gefangenschaft Khair ad-Din Barbarossas geraten. Die Osmanen gewinnen an Stärke, die Streitkräfte des Kaisers sind bezwungen.«
Er wiederholte seine Meldung ein drittes Mal, dann ging er davon und verschwand aus meinem Blickfeld, während ich versuchte, die Bedeutung des eben Gehörten zu erfassen. Ich wollte mich nicht länger aus den Geschäften der Welt heraushalten. Ich schuldete Lady Maria, die immer zu mir gestanden hatte, Gefolgschaft, und ihre Geschicke waren eng mit denen ihres Cousins, des Kaisers, verflochten. Aus Freundschaft zu ihr hatte ich beschlossen, meinen Widerwillen gegen die Politik hintanzustellen und mich ernsthaft mit den weltlichen Angelegenheiten des christlichen Abendlandes zu beschäftigen. Aber welch undurchschaubarer Wirrwarr! War diese verlorene Seeschlacht nun von Vorteil oder von Nachteil für Lady Maria?
»Ich frage Gertrude«, murmelte ich vor mich hin, während ich das Fenster schloss.
Auf einer Seite meines großen Schlafgemachs stand ein Himmelbett mit goldgesäumten Behängen. Gegenüber glomm schwach das zu glühender Asche zusammengesunkene Feuer im offenen Kamin. Als ich auf dem Weg hinaus an dem hohen Spiegel vorbeikam, der neben der Tür in die Eichentäfelung der Wand eingelassen war, blieb ich abrupt stehen.
Wer war die Fremde mit der eng gebundenen spanischen Haube, die mir da entgegenblickte? Diese Fremde in dem weitärmeligen goldfarbenen Gewand mit ausladenden Röcken und einem engen Mieder, dessen tiefen Halsausschnitt ein funkelnder Diamantanhänger zierte?
Ich sah aus wie Gertrude Courtenay.
Aber war das ein Wunder? Es waren ja einmal ihre Kleider gewesen.Gleich an meinem ersten Morgen in London hatte Gertrude gerufen, und alle waren sie gekommen, die Schneiderinnen Londons. Ich konnte mich kaum der fieberhaften Geschäftigkeit erwehren, mit der diese Frauen mit den begierigen Blicken und den schwieligen Fingern über mich herfielen, um einen Auftrag der Marquise von Exeter zu ergattern.
Ich wollte Nein sagen. Ich versuchte, die Kleider und den Schmuck abzulehnen, die Gertrude mir aufdrängte. Nicht nur dass ihre Großzügigkeit meiner Meinung nach weit über das hinausging, was ich verdiente; ich hatte mich auch nie im Geringsten für Mode interessiert, ja, ich hatte es als befreiend empfunden, im Kloster in den langen, losen Nonnenhabit schlüpfen zu können. Als ich die Tracht ablegen und wieder weltliche Kleidung tragen musste, wählte ich einige unauffällige Stücke in zurückhaltenden Farben. Es war nie mein Bestreben gewesen, durch äußeren Prunk zu beeindrucken.
»Joanna, Eure Bescheidenheit verdient Respekt, aber es gibt noch anderes zu berücksichtigen«, erklärte Gertrude. »Wir gehören zu den vornehmsten Familien des Landes, in Euren Adern fließt, wie in denen meines Gemahls, königliches Blut – da muss ein gewisser Wert auf die äußere Erscheinung gelegt werden. Oder glaubt Ihr, Lady Maria kleidet sich in Lumpen? Als die Trauerzeit für Königin Jane um war, begann sie wieder die schönsten Farben zu tragen. Sie hat ihren Schmuck wieder herausgeholt. Sie erfreut sich an Musik – ja, sie spielt sogar Karten. Aller Augen sind auf sie gerichtet; jede Kleinigkeit an ihrer Erscheinung wird wahrgenommen. Gerade wir, die wir Lady Maria lieben, müssen zeigen, dass wir stolz sind auf unseren Rang.«
Daraufhin hatte ich mir, wenn auch mit großem Widerstreben, die neue Garderobe anpassen lassen. Ich war zwei Zoll kleiner als Gertrude und hatte einen fülligeren Busen. Die erste notwendige Änderung war leicht ausgeführt, bei der zweiten war es schwieriger. Die Mieder saßen alle knapp. Anfangs fühlte ich mich eingeengt; es war unangenehm, sich jedes Atemzugs so bewusst zu sein. Aber nach ein paar Tagen gab sich das Engegefühl.
Als ich die Tür zum oberen Korridor öffnete, wäre ich beinahe mit Alice, meiner Zofe, zusammengestoßen.
»Habt Ihr einen Wunsch, Madam?« Alice knickste, das dunkle rote Haar, das unter ihrer Haube hervorsah, glänzte.
»Nein, danke. Ich wollte gerade zur Marquise.«
»Ich glaube, sie ist in ihrem Empfangszimmer.«
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