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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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nicht vergessen, so gern ich es getan hätte.
    Wenn mich die Gedanken daran plagten, rief ich mir ins Gedächtnis, was mein kluger Vater gesagt hatte, als einmal zwei unserer Bediensteten auf Stafford Castle berichteten, sie wüssten von einem Wanderzauberer, der einen abgeschlagenen Kopf in einem Sack mit sich herumtrage. Man brauche ihn nur vor einen Zauberspiegel zu stellen und einen Schilling zu bezahlen, dann beantworte er alle Fragen, die man ihm stellte. »Leute«, sagte mein Vater energisch, »dieser Zauberer ist nichts als ein Scharlatan. Und selbst wenn nicht, weichen solche Praktiken doch gefährlich von Gottes Wegen ab. Ihr setzt euer Seelenheil aufs Spiel, wenn ihr euch mit Leuten einlasst, die mit dem Fleisch der Toten Missbrauch treiben. Das ist Nekromantie.«
    Als ich an diesem Morgen vor dem Rittersaal stand, beschloss ich in Gedanken an meinen pragmatischen Vater, mir die Angstvor quälenden Visionen auszutreiben, indem ich den Saal noch einmal aufsuchte und mich davon überzeugte, dass es dort nichts zu fürchten gab.
    Der Raum zeigte sich diesmal heller und freundlicher. Durch die hohen Erkerfenster zum Innenhof des Hauses strömte Sonnenlicht. Ich ging ein paar Schritte weiter in den Saal hinein. Es war ein riesiger Raum – wenigstens dreimal so lang wie breit. Am hinteren Ende, hoch oben, hing eine steinerne Sängerkanzel.
    In meinen Samtschuhen glitt ich lautlos über den Steinboden bis zu der Stelle, wo ich vor knapp zwei Wochen die Stimmen gehört hatte.
    Was für ein Einfall, einen offenen Kamin mit solch grotesken Fabeltieren zu schmücken. Was hatte der Erbauer des Hauses sich dabei gedacht? Ich erinnerte mich jetzt an seinen Namen, Henry hatte ihn mir genannt – Sir John de Poulteney. Was hatte ihn veranlasst, sein städtisches Herrenhaus mit einem Rittersaal auszustatten, als wäre er ein mächtiger Burgherr? Dieser Saal gehörte nicht in die Suffolk Lane. So viel Streben nach Geltung und Ruhm war eher traurig. Offenbar verbarg sich hinter dem Hochmut und den beständigen Machtkämpfen des Adels nichts als Leere. Seelenlose Leere wie in diesem Saal.
    Ich trat noch näher an die beiden geflügelten Löwen mit den grimmig aufgerissenen Mäulern heran. Sie erinnerten mich an die Fratzen der Wasserspeier, die ich an den Seitenmauern der Westminster-Abtei gesehen hatte. Stimmte es, dass Löwen niemals die Augen schlossen, nicht einmal im Schlaf? Dass sie die wachsamsten aller Geschöpfe Gottes waren?
    Plötzlich überfiel mich wieder dieses Grauen, heftiger diesmal. Ich hörte die Stimmen, aber dabei blieb es nicht. Jetzt erschienen auch Bilder vor meinen Augen.
    » Möge Gott der Allmächtige Euch segnen .« Es war eine geistliche Segnung, jedoch von einem lächelnden Knaben ausgesprochen, der nicht älter als acht Jahre war und ein Bischofsgewand trug.
    Ein hoher kindlicher Schrei. Spöttisches Lachen von Erwachsenen. Ich sah noch eine zweite Person, einen breitschultrigenMann in abgerissener Kleidung, der ein wogendes Gedränge anderer Männer turmhoch überragte. Ich schien ihm entgegenzufliegen und blickte in das Gesicht eines einfältigen Kindes mit milchig hellen Augen und sabbernder, bebender Unterlippe. Es starrte mich an und schauderte wie vor Furcht.
    Ich wich taumelnd zurück und stürzte zu Boden, als ich in meinen geborgten Schuhen auf dem glatten Stein ausrutschte.

Kapitel 8
    Als ich mich endlich aufraffte und stolpernd aus dem Saal lief, hatten Bilder und Stimmen sich verflüchtigt. Draußen lehnte ich mich um Atem ringend an die Wand und versuchte, zu begreifen, was ich soeben gesehen und gehört hatte.
    Ein junger Mann mit rotbraunem Haar und einem Tablett näherte sich, einer der Zwillingsbrüder, die hier im Haus dienten und einander bis hin zur Haarlänge zum Verwechseln ähnlich sahen. Sie waren nur durch ihr unterschiedliches Temperament auseinanderzuhalten. James war ein heller Kopf, Joseph von schwerfälligerem Verstand. Der jetzt auf mich zukam, war eindeutig James. Er senkte nicht, wie die meisten Bediensteten der Familie, devot den Blick. Würde ich nun zum Gegenstand des Dienstbotenklatsches werden? »Diese Stafford ist eine komische Person«, würde er vielleicht heute Abend den anderen berichten.
    Ich straffte die Schultern und setzte entschlossenen Schritts meinen Weg zu Gertrudes Räumen fort.
    Mit Schwester Elizabeth Barton hatte diese merkwürdige Geschichte gar nichts zu tun, sagte ich mir. Aber vielleicht war das alte Haus von bösen Geistern besessen.

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