Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
für Teufelswerk? Solche Vorstellungen wurden schon vor Jahrhunderten widerlegt.«
»Das ist auch nicht der Grund meiner Ablehnung.«
»Was dann?«
»Nach dem schrecklichen Schicksal, das meinem Onkel, dem Herzog von Buckingham, widerfuhr, ließ mein Cousin Henry Stafford die ganze Familie, uns alle, die wir auf Stafford Castle lebten, schwören, dass wir uns niemals die Sterne deuten lassen würden.«
»Ah, ich verstehe«, sagte Dr. Branch. »Der Herzog wurde von einem Ordensbruder beraten?«
»Von einem Mönch«, sagte ich. »Als man ihm den Prozess machte, lautete die schwerwiegendste Anklage gegen ihn, er habe Prophezeiungen eingeholt und auf diese hin die Ermordung des Königs geplant.« Meine Stimme geriet ins Zittern bei dem Wort Prophezeiungen . »Mein Onkel hat nie nach der Zukunft des Königs gefragt und ebenso wenig danach, ob dem HausTudor männliche Erben beschert würden. Diese Aussagen waren gelogen. Trotzdem wurde er schuldig gesprochen, und wir haben alles verloren.«
Respektvolles Schweigen folgte auf meine Worte. Mein Atem, der sich während meines Berichts über den Sturz meines Onkels zwischen den verkrampften Schultern gestaut hatte, floss wieder freier.
Gertrude sagte betont: »Niemals würden wir nach der Zukunft des Königs fragen. Im Haus Henry Courtenays wird das Gesetz geachtet.«
Dann sprang sie auf und umfasste meine Taille. Mit erstaunlicher Kraft zog sie mich an sich. »Dr. Branch ist hier, um Euch zu helfen , Joanna. Wenn wir den Tag und die genaue Zeit Eurer Geburt wissen, können wir die Zusammensetzung Eurer Körpersäfte bestimmen und für den besten Schutz Eurer Gesundheit sorgen.« Mit der freien Hand winkte sie Dr. Branch. »Bitte erläutert Eure Kunst. Ihr versteht Euch so gut darauf.«
Der Arzt wies auf den leeren Sessel ihm gegenüber. »Wollt Ihr Euch nicht setzen, Miss Stafford?«
»Ich möchte niemanden beleidigen, aber ich kann damit nichts zu tun haben«, beharrte ich. Ich wollte keine Prophezeiungen mehr hören, gleich welcher Art, das hatte ich mir damals auf dem eiskalten Steinboden von St. Sepulchre geschworen.
Gertrude ließ mich los. »Dr. Branch ist mein Gast – und ein langjähriger Freund«, sagte sie merklich kühler. »Ich kann nicht verstehen, warum Ihr Euch nicht wenigstens setzen und zuhören wollt. Wenn Ihr danach bei Eurer Haltung bleibt, wird Euch natürlich niemand zwingen, Joanna.«
Ich setzte mich.
Der Arzt, jetzt ganz Ernst und Sachlichkeit, begann sogleich mit seinem Vortrag. »Der Glaube an die Macht der Gestirne und Planeten lässt sich bis in die früheste aufgezeichnete Geschichte zurückverfolgen, Miss Stafford. Schon die Babylonier erkannten die Sonne als Lebensspenderin und wussten, dass das Befinden der Menschen von den Mondschwankungen beeinflusst wird.Jahrhundertelanges gewissenhaftes Studium des Himmels lehrte sie, dass die vier Elemente – Erde, Luft, Feuer und Wasser – von den Bewegungen der Himmelskörper beherrscht werden. Dank den Forschungen der großen humanistischen Gelehrten Europas wissen wir heute, dass Aristoteles und Claudius Ptolemäus viel von der Astrologie hielten.« Er hielt kurz inne. »Diese Namen sagen Euch vielleicht nichts.«
»Doch, sie sind mir bekannt«, entgegnete ich. »Ebenso wie der Name des römischen Geschichtsschreibers Tacitus, der die Astrologen als ›eine Gefahr für die Fürsten‹ bezeichnet hat.«
Dr. Branch starrte mich entgeistert an, und Gertrude sagte: »Unsere spanischen Mütter folgten dem Beispiel Königin Isabellas, die der Überzeugung war, dass auch Frauen eine klassische Erziehung verdienen. Joanna hat ihre Studien offensichtlich ernst genommen.«
Ohne auf diesen Einwurf etwas zu erwidern, fuhr er in seinem Sermon fort. »Alle Herrscher des christlichen Abendlandes bedienen sich des Wissens von Astrologen. Von der Marquise habe ich gehört, dass Ihr Mitte April geboren seid, doch ich muss den genauen Tag wissen, um – «
»Ich habe Euch doch gesagt, dass ich mich bester Gesundheit erfreue«, unterbrach ich ihn.
»Ja – heute«, gab Dr. Branch zurück. »Aber wenn ich Euch das Horoskop gestellt habe, kann ich das augenblickliche Verhalten Eurer Körpersäfte zueinander bestimmen und beurteilen, was getan werden sollte, um sie in Zukunft in perfekten Einklang zu bringen.«
Und ich hatte gefürchtet, die Erscheinungen im Rittersaal könnten etwas mit Schwester Elizabeth Barton zu tun haben. Dies hier war viel schlimmer. Gertrude drängte mich zu dem, was ich am
Weitere Kostenlose Bücher