Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Charles’ Nachricht eintraf, dass man Euch in Eurem Zimmer festgesetzt hat, bin ich sofort nach Hause geritten. Ich kann nicht lange bleiben. Ich muss heute Morgen wieder am Hof sein.«
»Woher wusste Charles, was passiert ist? Ich wollte ihm eine Nachricht zukommen lassen, aber das ist mir nicht gelungen.«
»Das hier ist mein Haus. Glaubt Ihr, meine Leute wissen nicht, was vorgeht? Es geht nur um die angemessenen Maßnahmen.« Er schnitt ein Gesicht. »Es wundert mich kaum, dass Ihr nach allem, was Ihr in der Kapelle gehört habt, schnellstens abreisen wolltet. Ich habe Charles angewiesen, dafür zu sorgen, dass Ihr Euch morgen wieder frei bewegen könnt.«
»Aber warum bin ich überhaupt festgehalten worden, Henry?«, fragte ich.
Mein Cousin trat zum offenen Kamin und bückte sich, um mit seiner Kerze eine Flamme zu entzünden. »Es ist ja eine bitterkalte Nacht«, murmelte er.
Nach einer kleinen Weile richtete er sich auf. »Joanna, ich brauche Eure Hilfe«, sagte er.
» Meine Hilfe?«
Er ging langsam zum Fenster und starrte in die Dunkelheit. Was Henry Courtenay mir zu sagen hatte, wollte ihm nicht leicht über die Lippen.
»Ich liebe Gertrude«, sagte er schließlich. »Von ganzem Herzen.Niemand kann auch nur ahnen, was ich für sie empfinde – und sie für mich.« Er schwieg. Ich wartete, verlegen, ungeduldig und verwirrt, aber auch tief gerührt.
»Gertrudes Mutter starb, als sie noch ein Kind war«, fuhr er endlich fort. »Ihr Vater, Lord Mountjoy, war Königin Katharinas Haushofmeister. Er schickte sie nicht fort, sondern zog sie am Hof groß, immer in der Nähe der Königin, sodass Katharina ihr in vieler Hinsicht eine Ersatzmutter war. Und Lady Maria eine Schwester.«
Den Blick immer noch nach draußen gerichtet, fragte er: »Ist Euch Schwester Elizabeth Barton ein Begriff?«
Meine Hand krampfte sich um den Bettpfosten. »Ja«, flüsterte ich, froh, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte.
»Gertrude hat sie mehrmals aufgesucht oder wurde von ihr aufgesucht. Es gab mindestens drei Zusammentreffen, das erste 1529. Ich glaube, dass bei diesen Reisen Gertrude ihr Verlangen, in die Zukunft zu sehen, zur Besessenheit wurde. Sie suchte Elizabeth Barton auf, um zu erfahren, was den König und unsere Familie erwartet.«
Mir stand das Entsetzen wahrscheinlich ins Gesicht geschrieben. Gertrude war eine Anhängerin Schwester Elizabeth Bartons gewesen .
Henry sagte heftig: »Gertrude hat das natürlich nie zugegeben. Sie hat immer behauptet, sie wolle von Schwester Barton lediglich erfahren, ob sie irgendwann einmal noch ein Kind bekommen würde. Aber ich weiß, dass es um mehr ging. Und jeder in England – jeder auf der Welt – weiß, dass Schwester Barton in ihren Prophezeiungen vor einer Heirat des Königs mit Anne Boleyn gewarnt hat.«
»Aber sie hat widerrufen«, warf ich ein. »Sie hat ein Geständnis unterzeichnet, demzufolge ihre Prophezeiungen Betrug waren.«
»Ach Gott, Joanna, sie wurde gefoltert«, entgegnete Henry. »Was würde ein Mensch nicht sagen, um der Streckbank zu entgehen? Als Schwester Barton wegen Hochverrats geprüft wurde, als man ihre Papiere und Besitztümer und die Aufzeichnungendes Klosters St. Sepulchre durchsuchte, wurden Gertrudes Besuche bekannt. Sie musste dem König einen Brief schreiben, in dem sie sich zu schweren Verirrungen bekannte und um königliche Gnade bat. Ich fürchtete, dieses Schreiben würde nicht genügen. Aber es kam anders, und Gertrude entging einem Prozess.«
Und wenn sie von meinem Besuch mit meiner Mutter in St. Sepulchre wussten? , dachte ich entsetzt. »Ihr hättet mir das alles sagen sollen, bevor Ihr mich hierher eingeladen habt«, sagte ich.
Henry senkte den Kopf. »Ja, Ihr habt recht.«
Jetzt musste ich alles wissen.
»Gertrude hat sich große Mühe gegeben, um mich zu finden und hierherzubringen. Jetzt will sie mich mit Gewalt hier festhalten. Warum?«
Henry schritt vor dem frisch entfachten Feuer auf und ab. »Es war nicht ihre Idee«, erklärte er. »Vor dem vergangenen Sommer hat sie nie von Euch gesprochen. Dann redete sie plötzlich beinahe unaufhörlich von Euch und drängte immer wieder darauf, nach Dartford zu reisen, um Euch aufzusuchen.«
»Hat Lady Maria ihr das geboten?«
Henry breitete hilflos die Hände aus. »Ich weiß es nicht, Joanna. Es ist möglich, ich kann mir allerdings nicht vorstellen, warum.«
Er hatte recht. Was sollte Lady Maria daran gelegen haben, mich nach London zu holen? Nein, das ergab keinen
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