Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
aufgegeben, dass du je einen solchen Kurs einschlagen wirst.«
Ein Donnerschlag hallte durch die Kapelle. Als hätte Henry, so schwer vorstellbar das war, mit geballter Faust gegen die Holztäfelung geschlagen. Mir schossen die Tränen in die Augen. Es kam mir vor wie ein Albtraum, dass mein sonst so gütiger Cousin derart reagierte – noch dazu an einem geweihten Ort.
»Es wird nicht passieren, Gertrude«, fauchte er sie an. »Verstehst du das denn nicht? Es geht nicht allein um Heinrich Tudor. Hör mir zu! Es geht um Cromwell, Cranmer und Suffolk. Und um Norfolk. Vergiss Norfolk nicht! Diese Männer sind ständig bei ihm.«
Pater Timothy trat aus dem Beichtstuhl hervor. Ich hätte das Gleiche tun sollen, aber ich konnte mich vor Angst und Schrecken nicht rühren.
»Pater Timothy, das ist unerhört«, rief Gertrude.
Mit aller Sanftmut bat der Priester um Vergebung und versicherte, dass alles, was er in der Tat gerade gehört hatte, geheim bleiben werde. Offensichtlich, fügte er hinzu, bedürften der Marquis und die Marquise geistlichen Beistands. Er werde sich nach besten Kräften bemühen, ihn zu leisten.
»Aber warum habt Ihr die ganze Zeit im Beichtstuhl gesessen?«, fragte Gertrude immer noch aufgebracht.
»Ich habe mich auf den kommenden Tag vorbereitet, Lady Courtenay«, antwortete er.
»Es war niemand bei Euch, um zu beichten?«, fragte sie. »Es ist nicht noch jemand drinnen? Neben der Tür steht doch eine Kerze. Bitte sagt mir, wer hat sie dort zurückgelassen?«
Pater Timothy sagte gar nichts. Natürlich wollte er nicht lügen.
Ich rutschte auf die andere Seite der Bank. Mit beiden Händen tastete ich die Wand hinauf und hinunter. Gab es irgendwo einen Riegel? Eine Tür zur anderen Seite? Unmöglich konnte ich den Courtenays gegenübertreten nach dem, was ich soeben gehört hatte.
Aber es führte kein anderer Weg aus dem Beichtstuhl hinaus.
»Ich sehe nach, Gertrude«, sagte Henry.
Ich hörte Schritte. Sie wurden lauter. Die Tür des Beichtstuhls wurde aufgezogen. Henrys Gestalt füllte die schmale Öffnung. Um ihn herum drang kaum Licht ein. Er sah mich – natürlich sah er mich. Ich konnte seine Gesichtszüge nicht erkennen.
Er verweilte nur einen Herzschlag lang, ehe er zurücktrat. Die Tür fiel knallend zu.
»Da ist niemand«, sagte er. »Und nun, Pater, ist es Zeit für die Messe.«
Kapitel 12
Ich zog meine eigenen Sachen an, ein schlichtes dunkles Kleid, das ich an jenem ersten Tag, als Gertrude mir ihren Putz aufdrängte, auf die Seite gelegt hatte. Keinesfalls würde ich Red Rose in ihren Prachtgewändern verlassen. Denn als die Sonne an diesem Tag ihren höchsten Stand am Himmel erreichte, stand mein Entschluss fest: Die Bedrohung kam näher, Arthur und ich mussten unverzüglich abreisen.
Aber die Kinder waren nicht in ihrem Unterrichtsraum, als ich dorthin kam. Nur Edward Courtenays Französischlehrer, ein ernster Student namens François, war da. »Die Jungen sind im Hof«, sagte er und sah mich stirnrunzelnd an. »Seid Ihr wohlauf? Ihr seht – verändert aus.«
»Es geht mir gut«, erwiderte ich fest.
Sein Blick flog an mir vorbei, und ich drehte mich um. Der aufgeweckte James stand an der Tür.
»Die jungen Herren kommen vor dem Abendessen wieder herauf«, sagte er. »Möchtet Ihr nicht auf sie warten, Madam?«
»Nein«, antwortete ich scharf. »Ich möchte meinen Verwandten jetzt sehen.«
Damit drehte ich mich um und eilte den Gang hinunter. An der ersten Biegung hörte ich Schritte hinter mir. François und James waren mir gefolgt.
»Ich kenne den Weg«, rief ich ihnen zu. »Ich brauche keine Begleitung.«
Noch ein Gang, dann war ich an der Treppe. Ich war versucht, Hals über Kopf hinunterzujagen, aber ich wusste, dass ich jetzt einen kühlen Kopf behalten musste. Auf halbem Weg nach unten vernahm ich über mir von Neuem die eilenden Schritte der Verfolger und bemerkte bei einem kurzen Blick zurück, dass sich jetzt Alice, meine Zofe, und ein weiterer Diener, dessen Namen ich nicht kannte, François und James angeschlossen hatten.
Als ich die letzte Ecke erreichte, hatten sich die Geräusche hinter mir zu wahrem Getrampel gesteigert. Offenbar war mir jetzt eine ganze Dienstbotenschar auf den Fersen. Was sollte diese wilde Jagd, fragte ich mich zornig.
Im Hof war es an diesem Tag kühl. Eine graue Wolkendecke verhüllte den Himmel. Die beiden Jungen trugen mit flachen Holzschwertern einen spielerischen Kampf aus. Arthur winkte mir lachend mit seiner Waffe zu.
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