Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Mund, mir erstarb der Atem. Das ist das Ende , dachte ich. Mein Ende .
Schließlich schaffte ich es, wenigstens drei Worte über die Lippen zu bringen. »Schließt die Tür.«
Constance zog sich zurück. Ich hörte Stimmengemurmel, dann das Geräusch sich entfernender Schritte.
»Ihr solltet Euch setzen, Joanna«, sagte Gertrude. Keine Spur mehr von der noch eben gezeigten Verzweiflung. Sie war ganz liebevolle Fürsorge. »Ihr seid nicht wohl.«
Ich kehrte ihr den Rücken, während ich versuchte, mich zu fassen. Dann sagte ich heiser: »Lady Rochford hat Euch belogen.«
»Ach, Joanna. Es liegt doch auf der Hand, dass sie die Wahrheit gesagt hat.«
Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Ich war sechzehn Jahre alt.«
Gertrude schüttelte den Kopf. »Wenn es Euch ein Trost ist – vor seiner Hinrichtung hat George Boleyn vor der versammelten Menge bekannt, dass er ein Sünder ist und den Tod verdient. Vielleicht dachte er dabei an Euch und all die anderen jungen Mädchen, an denen er sich vergangen hat.«
Ich drückte beide Fäuste auf die Augen, um die Tränen zurückzudrängen. Aber es half nicht. »Wer weiß es noch?«, fragte ich.
»Niemand«, antwortete Gertrude. »Und ich schwöre bei Gott, dass ich keiner Menschenseele je etwas davon sagen werde – wenn Ihr mich morgen begleitet. Der Seher hat mir gesagt, dass er ohne Euch die Prophezeiung nicht zu Ende bringen wird. Und er hat gesagt, dass Ihr aus freiem Willen zu ihm kommen müsst.«
So lange schon fürchtete ich mich davor, dass der zweite Prophet meine Zukunft erkennen und mich einer schrecklichen Bestimmung näher bringen würde. Beinahe ebenso groß war meine Angst davor, dass George Boleyns Vergehen an mir bekannt würde. Ich hatte ihn in keiner Weise ermutigt und mich nach Kräften gewehrt, um seiner Annäherung zu entkommen, als er mich im verborgenen Alkoven des Salons seiner Schwester in die Enge getrieben hatte. Ich wusste, dass Frauen niemals geglaubt wurde, und hatte mich immer vor dem verdammenden Urteil der Leute über mich und meine Familie gefürchtet, sollte Boleyns schändlicher Angriff auf mich bekannt werden. Nun drangen diese beiden großen Ängste vereint so mächtig auf mich ein, dass ich ihnen nichts mehr entgegenzusetzen hatte.
Ich würde tun, was Gertrude verlangte. Das wusste sie. Doch da ergriff mich eine neue Sorge. »Woher wollt Ihr wissen, dass Lady Rochford nicht auch anderen erzählt hat, was ihr Mann mir angetan hat?«, fragte ich. »Und dass sie auch in Zukunft schweigen wird?«
Gertrude sagte nichts. Ich nahm die Hände von den Augen und drehte mich ihr zu. Ich erwartete Triumph zu sehen. Doch ich sah etwas ganz anderes, ein müdes, von Kummer gezeichnetes Gesicht. Die feinen Linien hatten sich vertieft, Gertrude schien in dieser kurzen Zeit um Jahre gealtert zu sein.
»Sagt es mir«, forderte ich. »Beruhigt mich. Sagt mir zu, dass mir Scham und Erniedrigung vor der Welt für immer erspart bleiben werden, wenn ich Euch morgen begleite. Wie könnt Ihr sicher sein, dass Lady Rochford schweigen wird?«
Gertrude ließ sich in ihren Sessel sinken. Ihre Hände zitterten, als sie sagte: »Weil sie mir nie etwas erzählt hat. Sie hat keine Ahnung davon, was Ihr Mann Euch angetan hat. Ich habe beobachtet, wie Ihr Euch verhalten habt, als Ihr hörtet, dass Lady Rochford die Witwe George Boleyns ist. Jeder bei Hof wusste, dass er eine Vorliebe dafür hatte, sich an jungen Mädchen zu vergreifen. Da habe ich meine eigenen Schlüsse gezogen und alles auf eine Karte gesetzt. Es hat sich gelohnt.«
DRITTER TEIL
Kapitel 15
Nach Sonnenuntergang wurden die Haustüren in Red Rose stets abgeschlossen, und spätestens um acht suchten die Dienstboten ihre Räume auf. Doch an diesem Abend war es schon zehn, als James an meine Zimmertür klopfte. Ohne ein Wort bot er mir die Hand, und ich legte die meine hinein, obwohl mich schauderte. Er zog mich aus meinem Zimmer in die Dunkelheit.
Er hatte keine Kerze bei sich, um uns zu leuchten. James kannte jede Ecke und jeden Winkel dieses Hauses und suchte sich den Weg durch den Gang, indem er die linke Hand die Wand entlanggleiten ließ, während er mich mit der rechten führte, rücksichtsvoll, nicht so grob wie an dem Tag, als ich mit Arthur hatte fliehen wollen. Heute Abend war ich kostbares Gut.
Neben der Speisekammer öffnete sich eine Tür zu einem Flur, der das Haus mit einem schmalen Durchgang zur Straße verband. Ich roch das Wasser der Themse, als wir auf die
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