Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Schwester Elizabeth Barton Euch im Oktober 1528 mitgeteilt hat, dass Ihr ihr nachkommen werdet, wenn es ihr nicht gelingen sollte, den König von England aufzuhalten. Das hat sie mir selbst anvertraut. Aber die genaue Prophezeiung, soweit sie Euch betrifft, die hat sie mit keiner Menschenseele geteilt. Meines Wissens kennt niemand sie außer Euch und Schwester Elizabeth, und sie ist tot.«
Gertrude bedrängte mich von Neuem. Ihre Augen glühten wie die eines Jägers kurz vor dem Abschuss des verfolgten Wilds. »Meine innere Stimme sagt mir den wahren Grund dafür, dass Schwester Elizabeth Barton im Tower aufgegeben und widerrufen hat. Ihre Sehergabe war echt – eine Gabe Gottes. Keine Frau bei Hof war ihr näher als ich. Ich habe sie verstanden. Sie kann nur widerrufen haben, weil es das einzige Mittel war, den Verhören ein Ende zu bereiten, bevor man ihr das Geheimnis, das sie mit Euch teilte, mit Gewalt abpresste. Sie hat widerrufen, um Euch zu schützen.«
»Nein, nein.« Ich hielt mir die Ohren zu. »Ich höre mir das nicht an.«
Gertrude schlug meine Hände weg. »Lasst das«, zischte sie. »Ihr seid kein Kind. In Eurer Hand liegt der Schlüssel zum Erfolg unseres Unternehmens. Ihr seid die, die uns von Heinrich Tudorbefreien und England zum wahren Glauben zurückführen könnte. Aber das wollt Ihr nicht tun.«
»Ich weiß nicht, was Ihr Euch einbildet«, entgegnete ich mit heftigem Kopfschütteln. »Was soll da noch getan werden können? Der König hat die Klöster aufgelöst, die Kirchen sind ausgeplündert. Wir haben gar keine Wahl, wir müssen uns fügen.«
»Fügen?«, rief sie. »Es geht um unser Seelenheil, und ausgerechnet Ihr ratet uns, uns zu fügen? Erst vor wenigen Wochen hat der König den letzten Schlag gegen den wahren Glauben geführt, den gotteslästerlichsten von allen, als er den Schrein des heiligen Thomas Becket in Canterbury plünderte. Aller Schmuck und Zierrat wurde in die königliche Schatzkammer gebracht. Das Einzige, was geblieben ist, sind die Gebeine des Heiligen.«
Mit einem Dutzend Schritten, vielleicht sogar weniger, konnte ich die Tür erreichen. Charles wartete draußen. Gertrude war eine kräftige Frau, aber wenn es mir gelang, um sie herum zur Tür zu laufen, würde sie mich nicht an der Flucht hindern können. Doch bei der ersten Bewegung trat Gertrude mir in den Weg.
»Wenn Ihr mich nicht sofort vorbeilasst, schreie ich«, drohte ich.
»Das werdet Ihr nicht tun«, versetzte sie. »Heute wird es keinen Auftrag für Charles geben. Und morgen werdet Ihr mich zu Orobas begleiten.« Sie hielt einen Augenblick inne und fügte dann hinzu: »Ihr müsst aus freiem Willen und ohne Zwang mitkommen.«
Die Worte trafen mich wie ein Schlag. In dem Schreiben ging es also tatsächlich um mich. Ich erkannte jetzt, dass alles, was sie sagte und tat, nur dem einen Ziel diente, mich der Vollendung der Prophezeiung entgegenzutreiben.
»Niemals werde ich das tun«, sagte ich.
»Gebt uns, was wir wünschen, Joanna«, forderte sie mit vor Verzweiflung heiserer Stimme.
» Uns ?«, wiederholte ich. »Wer hat Euch befohlen, mich aus Dartford zu holen? Wer hat Euch befohlen, mich jetzt zu einem Seher zu bringen?«
»Das kann ich Euch nicht sagen, aber Ihr müsst mich begleiten.« Sie wollte nach meinem Arm greifen.
Ich stieß sie von mir. »Ich werde Euch nicht begleiten, weder morgen noch an irgendeinem anderen Tag. Ich sende jetzt Henry eine Nachricht und dann verlasse ich dieses Haus.«
Ihre Unterlippe bebte. Rote Flecken brannten auf ihren eingefallenen Wangen. »Kümmert es Euch nicht, was ich meinem Gemahl berichten werde, wenn Ihr fort seid?«
»Nein.«
»Dass seine hochgeschätzte Joanna Stafford heimlich Schwester Elizabeth Barton aufgesucht hat, genau wie ich? Dass auch Ihr eine Lügnerin und Verräterin seid?«
Ich zuckte bei den hässlichen Worten zusammen, dennoch sagte ich: »Berichtet ihm, was Euch beliebt.«
»Oh, ich glaube nicht, dass Euch das recht wäre. Ich weiß, dass es etwas gibt, das Ihr vor aller Welt geheim halten wollt, und es hat nichts mit einer Prophezeiung zu tun.«
Wieder schaute Constance zur Tür herein. »Charles beharrt darauf, dass er unverzüglich mit Miss Stafford sprechen muss, Lady Courtenay.«
Ich wollte Constance und dem hinter ihr wartenden Charles entgegeneilen, doch Gertrude hielt mich an den Schultern fest. »Und wenn ich der Welt erzähle, dass Ihr George Boleyn zu Willen wart?«, zischelte sie mir ins Ohr.
Mir erstarb das Wort im
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