Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
heißt, aus der Gnade Gottes verbannt und verstoßen zu werden, nie mehr das Sakrament empfangen zu können. Dann wird die Glocke geläutet, das Buch wird geschlossenund die Kerze gelöscht, zum Zeichen dafür, dass der Sünder nie wieder das Licht Gottes schauen wird.«
»Wie soll ein König noch herrschen können, wenn er exkommuniziert ist?«, murmelte ich vor mich hin, und Gertrude, an die die Frage eigentlich gar nicht gerichtet war, nahm den Faden sofort auf.
»Eben«, sagte sie. »Er kann es natürlich nicht. Und dann ist es die Pflicht anderer christlicher Herrscher, ihn zu entthronen. Wir, seine Untertanen, könnten Heinrich nicht verteidigen. Jedenfalls nicht, wenn wir der Kirche und dem Heiligen Vater die Treue halten wollten.«
Wenn das richtig war, änderte es alles. Aber konnte ich Gertrudes Darstellung der Dinge trauen? Nach einem Augenblick der Überlegung sagte ich: »Ihr habt aber bisher bei Eurem Handeln nicht auf den päpstlichen Segen gewartet. Wie weit seid Ihr in Eurem Verrat am König schon gegangen?«
Gertrude prustete geringschätzig. »Von Verrat kann keine Rede sein. Ich muss allerdings zugeben, dass ich das Königreich von einem bösartigen Geschwür befreit habe. Ich habe die Boleyns aus dem Weg geschafft. O ja, für diese Kleinigkeit habt Ihr mir zu danken.«
» Ihr wart das?« Ich war bestürzt über Gertrudes Wortwahl zur Beschreibung von Verhaftung, Prozess und Hinrichtung Anne und George Boleyns.
»Es gab genug Leute bei Hof, die die Boleyns hassten, aber statt etwas zu unternehmen, haben sie sich immer nur beklagt. Der Herzog von Norfolk hat dem König ein paar hübsche kleine Huren zugeführt, um ihn zu locken und Annes Einfluss zu schwächen. Aber es hat nicht gewirkt. Ich habe Heinrich Tudor mein Leben lang beobachtet – ich weiß, wie er auf Frauen anspricht. Wir mussten eine Frau finden, die das Gegenteil von Anne Boleyn war. Und ich habe sie schließlich gefunden. Jane Seymour hatte Königin Katharina gedient, sie war seit Jahren am Hof. Sie war so wenig beeindruckend, dass kein Mann sie je umworben hatte. Aber sie besaß eine Eigenschaft, die wichtiger war alsSchönheit oder Geist. Und eben diese Eigenschaft scheint Euch vollkommen zu fehlen, Joanna. Sie war ehrgeizig . Ich brauchte ihr nur zu raten, was sie tun musste, um den König zu fesseln, und sie befolgte meine Anweisungen bis ins Kleinste.«
Bei all meinem Abscheu vor Gertrudes kupplerischen Machenschaften musste ich doch auch die Beherztheit eines solchen Plans anerkennen – und seinen Erfolg. Und dennoch: »Ihr habt sie zur Königin gemacht und die Boleyns entmachtet – doch mit welchem Ende? Der König hat sich von Rom abgekehrt. Die Klöster wurden dennoch aufgelöst. Königin Jane hat nichts unternommen, um es zu verhindern.«
Gertrude fasste die Zügel fester. »Königin Jane hat versucht, die Klöster zu retten, Ihr habt keine Ahnung, unter welchen Gefahren«, behauptete sie. »Wenn sie am Leben geblieben wäre, hätte sie als Mutter des Thronerben ungeheuren Einfluss gehabt.«
»Das kann man jetzt leicht sagen«, entgegnete ich. »Die Wahrheit werden wir nie erfahren.«
Ehe unser Streit sich weiter zuspitzen konnte, wurden wir unterbrochen. Ein bärtiger Mann mit einem langen Stab in der Hand trat den Fackeljungen in den Weg.
»Ich bin der Nachtwächter des Bezirks Dowgate – wohin des Wegs um diese Zeit?«, knurrte er.
James schwang sich aus dem Sattel und ging auf den Mann zu. Sie sprachen eine Weile miteinander, dann wechselte ein praller kleiner Beutel die Hände, und der Nachtwächter ließ uns durch.
James eilte zu Gertrude zurück. »Der Nachtwächter des nächsten Bezirks wird das doppelte Entgelt fordern, Lady Courtenay. Wir brauchen aber seinen Schutz auf dem Weg an den Schenken und Glücksspielhäusern vorbei. Ohne ihn wäre es zu gefährlich.«
»So sei es«, sagte sie.
Wir ritten nochmals zwei lange, finstere Straßen hinunter. An der Ecke zu einer engen Kopfsteingasse, die steil abwärts führte, hielt James sein Pferd an. Ganz unten konnte ich flackernde Flammen vor einem niedrigen Gebäude erkennen. Ich hörte laute Männerstimmen und, ganz überraschend, gedämpfte Musik.
»Wir müssen hier warten, bis der nächste Nachtwächter vorbeikommt und uns seinen Schutz zusagt«, sagte James.
Doch Gertrude war ungeduldig. Unsere eigene Schutztruppe sei völlig ausreichend, erklärte sie. James widersprach ihr. An diesem Abend wurde mir zum ersten Mal deutlich, wie schwierig die
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