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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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Beziehungen unserer beiden Familien und der wachsenden Zuneigung zwischen James und mir, mehr aber auch nicht. Ich habe noch nie erlebt, dass sie mehr als höfliches Interesse aneinander hatten oder gar spielerisch miteinander flirteten, und doch kommt das Gefühl, das sich bei ihrem Anblick in mir breit macht, einem Erschrecken ziemlich nah.
    Ich bleibe still, warte ab und schaue zu, wie Alice langsam
hinter den Sessel tritt, in dem James sitzt. Mit dem Finger fährt sie über die hohe Rückenlehne, nur um Haaresbreite von James’ Nacken entfernt.
    »Ich denke, dass ich mich von nun an mehr um die Bibliothek kümmern werde, jetzt, wo Vater nicht mehr da ist«, sagt sie mit einem verführerischen Schnurren in der Stimme.
    James setzt sich kerzengerade auf und starrt geradeaus, obwohl ihr Betragen im Augenblick in höchstem Maße ungebührlich ist. »Ja, nun, dies ist dein Haus. Du kannst tun und lassen, was dir gefällt.«
    »Richtig. Aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.« Sie steht bewegungslos hinter ihm. Ihre Hände hat sie leicht auf seine Schulter gelegt und ihr Mieder berührt fast seinen Hinterkopf. »Vielleicht kannst du mir bei der Auswahl helfen, kannst mir zur Hand gehen bei Dingen, die mich … interessieren.«
    James steht unvermittelt auf, geht zum Schreibtisch und schiebt die Papiere dort hin und her. »Nun, ich bin ziemlich mit dem Katalogisieren der Titel beschäftigt. Aber ich bin sicher, dass Lia dir gerne behilflich sein wird. Sie kennt die Bibliothek und ihre Bücher besser als ich.«
    James steht mit dem Rücken zu Alice. Er sieht nicht den Ausdruck, der über ihr Gesicht zuckt. Ich schon. Ich bemerke die Wut, die meiner eigenen in nichts nachsteht. Was denkt sie sich eigentlich? Ich habe genug gesehen und betrete den Raum mit schnellen Schritten. Sie ist überrascht über mein Kommen, aber keineswegs verlegen, wie
man hätte erwarten sollen. James hebt den Blick, als ich zu ihm gehe.
    »Lia«, sagt er. »Ich wollte noch ein paar Dinge erledigen, aber Vater musste sich um einen anderen Kunden kümmern. Er dürfte gleich zurück sein, um mich abzuholen …« Er zieht seine Uhr aus der Westentasche und wirft einen Blick darauf. Dann fährt er fort: »Jeden Augenblick.« Er errötet, obwohl er keinen Grund hat, sich zu schämen, da es meine Schwester war, die sich ungehörig benahm.
    Ich hole tief Atem, um meine Stimme zu festigen, und sage dann: »Das ist nett von dir. Mein Vater würde sich gewiss über deinen Eifer freuen.« Ich wende mich meiner Schwester zu und ringe mir ein eisiges Lächeln ab. »Aber Alice, James hat recht; wenn du dich für die Sammlung interessierst, brauchst du mich nur zu fragen. Ich werde dir gerne helfen.« Ich vermeide es, ihr Betragen anzusprechen, denn ich will ihr nicht die Genugtuung geben, mich verängstigt und unsicher zu sehen.
    Sie neigt ihren Kopf, schaut mir in die Augen und betrachtet einen Moment lang mein Gesicht. »Tja, vielleicht tue ich das. Dennoch ist es eine große Beruhigung zu wissen, dass James mit all seinen Kenntnissen greifbar ist, für den Fall, dass du einmal … nicht zur Verfügung stehst.«
    »Keine Sorge«, sage ich fest. »Ich werde sicherlich auf absehbare Zeit verfügbar sein, für dich und für jeden sonst.«
    Wir stehen uns gegenüber, nur durch den Sessel getrennt.
Die Situation ist angespannt. Ich sehe James nur im Profil und bin dankbar, dass er schweigt.
    Schließlich wirft mir Alice ein kleines, verkniffenes Lächeln zu. »Nun, ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen. Ich werde auf euch zukommen, auf euch beide«, fügt sie hinzu und schaut betont über meine Schulter hinweg zu James. »Bald.«
    Ich schaue ihr nach, wie sie den Raum verlässt. Am liebsten würde ich mich bei James für Alices merkwürdiges Verhalten entschuldigen, aber ich gehe mit keinem Wort auf die Auseinandersetzung ein, deren Zeuge er gerade wurde. In meinem Kopf schwirren zu viele Fragen, von denen ich nicht sicher bin, ob ich die Antworten wissen will.

5
     
     
     
     
    A m nächsten Morgen ist meine Schwester auf der Fahrt in die Stadt schweigsam. Ich frage sie nicht nach dem Grund, obwohl ich Stille von Alice nicht gewohnt bin. Aber heute ist ihr Schweigen ein Echo meines eigenen. Aus dem Augenwinkel werfe ich ihr einen Blick zu, betrachte den Schwung ihres Kinns und die Locken, die auf dem Ansatz ihres Nackens auf und ab hüpfen, während sie den Kopf zum Fenster der Kutsche wendet.
    Die Kutsche kommt holpernd zum Stehen und Alice setzt

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