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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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schiebt sich mit jeder Sekunde, die ich in Richtung Heimat fliege, die Angst ein Stückchen mehr empor, während dieses unbekannte Ding dem Klang nach näher und näher rückt, mir direkt auf den Fersen ist. Ich habe immer noch einen weiten Weg vor mir, obwohl ich die Meilen hinter mir zu lassen scheine, als wären es bloß Zentimeter.
    Das Ding hinter mir hat jetzt eine Stimme, ein kreischendes Geheul, das mich mit Panik erfüllt - Panik, die mich einfriert und meine Geschwindigkeit verlangsamt,
ausgerechnet jetzt, wo ich eilen muss wie nie zuvor in meinem Leben. In der Ferne kann ich die dunkle Silhouette meiner Stadt sehen, die schnell näher rückt. Ich bin nah, und doch werde ich sowohl durch meinen Verfolger als auch durch meine eigene Furcht gebremst. Vermutlich hätte ich ganz angehalten, würde da nicht aus der Stadt eine Gestalt auf mich zukommen.
    Zunächst ist es nur ein bleicher Schimmer, aber schon bald ist sie da, direkt bei mir. Es dauert nicht lang, bis ich Sonia Sorrensen, das Medium, erkenne.
    »Komm! Komm! Du darfst keine Zeit verlieren! Ach, warum bist du nur so weit gegangen?« Sie hat noch nicht zu Ende gesprochen, da winkt sie mich schon zu sich, vorbei, nach Hause. »Geh! Geh, so schnell du kannst! Ich bin direkt hinter dir.«
    Ich nehme mir nicht die Zeit, mich zu wundern, wie oder warum Sonia Sorrensen in meinem Traum auftaucht. Ich höre die Panik in ihrer Stimme und ich fliege. Sie folgt mir auf dem Fuße, bis wir die Stadt erreichen.
    »Ich darf nicht mit dir gehen. Es ist nicht sicher.« Schon gleitet sie von mir weg. »Vereinige dich mit deinem Körper, so schnell es geht. Lass dich durch nichts aufhalten. Durch gar nichts, hörst du?«
    »Was ist mit dir?« Meine Stimme klingt klein und wie aus weiter Ferne. Ich fühle nicht, wie sonst, die Vibration in meiner Kehle.
    Ihre Augen halten meine fest. »Es ist nicht hinter mir her.«

    Ihre Worte treiben mich an. Ich fliege über die Felder, über die Straße nach Birchwood, an der Fassade des Hauses hinauf. Als ich das Fenster zu meinem Zimmer erreiche, wird das Knurren hinter mir zornig, zischt Worte, die ich zwar hören, aber nicht begreifen kann.
    Die Herrin … bewachen …
    Gedankenverloren verharre ich und versuche, die merkwürdige Botschaft zu entschlüsseln.
    Es ist ein Zögern, das ich mir nicht erlauben darf.
    Das dunkle Ding knurrt und schnappt, so nah, dass ich es berühren könnte, wenn ich den Mut dazu aufbringen würde. Ich kann nichts im Inneren dieser schwarzen Masse sehen, aber ich spüre donnernde Hufe und unzählige Schwingen, die alle in einem zeitlosen Rhythmus schlagen, der vertraut und erschreckend zugleich ist. Panik schwappt über mich hinweg, bis ich mich - merkwürdig abgeklärt - in mein Schicksal ergebe.
    Es ist zu spät. Das riesige schwarze Etwas ist zu nah. Ich bin wie erstarrt, unfähig, mich zu bewegen. Gleichmut durchströmt mich.
    Und doch - es kann mich nicht fassen.
    Es kauert am Rande einer Barriere, die ich nicht sehen kann. Das Flüstern, das vor Kurzem noch so nah, so unvermittelt klang, kommt jetzt gedämpft und aus weiter Ferne. Die mächtigen Schwingen, die eben noch direkt über mir waren, schlagen jetzt scheinbar hinter einer dicken Decke aus Samt. Das Ding heult vor Wut auf, aber das ist nichts weiter als eine sinnlose Zurschaustellung seiner Hilflosigkeit,
denn hinter dieser unsichtbaren Barriere bin ich in Sicherheit.
    Die Lethargie fällt von mir ab. Ich gleite durch das Fenster, verharre über meinem Körper, nur eine Sekunde lang, und lasse mich dann fallen.
    Es ist ein merkwürdiges Gefühl, als meine Seele wieder in meinen Körper zurückkehrt, wie das letzte Puzzleteilchen, das an seinen Platz gelegt wird. Da weiß ich ohne jeden Zweifel, dass es kein Traum war.

7
     
     
     
     
    A ls ich nach unten komme, sitzt Henry in sei-nem Stuhl am Fenster des Wohnzimmers. Die Schatzinsel liegt aufgeschlagen auf seinem Schoß, aber er liest nicht. Er starrt auf die Landschaft jenseits des Fensters.
    Ich mache mir nicht die Mühe, leise aufzutreten. Ich weiß, wie es ist, wenn man so tief in Gedanken versunken ist, und ich will ihn nicht erschrecken. Trotzdem schenkt er mir keine Beachtung, bis ich ihn anspreche.
    »Guten Morgen, Henry.«
    Er schaut auf und blinzelt, als hätte ich ihn aus einer Trance gerissen. »Guten Morgen.«
    Ich lege den Kopf schräg, schaue ihm in die Augen und versuche, aus dem Ausdruck, den ich dort in dem tiefen Braun erkenne, schlau zu werden. »Ist alles in

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