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Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Die Prophezeiung der Schwestern - 1

Titel: Die Prophezeiung der Schwestern - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Zink
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klingt nicht zufrieden. Ganz und gar nicht.
    Als wir schließlich die Hügelkuppe erreichen, kommt mir dieser letzte Weg, wenn man hinaus auf den Gipfel tritt, wie immer so vor, als beträte ich den Himmel. Trotz allem, was hier oben geschah, ist es unmöglich, nicht die majestätische Aussicht zu bewundern.
    »Oh! Ich wusste nicht, dass es hier einen See gibt!« In Sonias Stimme liegt die Ehrfurcht eines Kindes, und mir wird klar, dass sie nicht viel älter sein kann als ich. Sie nimmt alles in sich auf - den See, der unter uns schimmert, die Bäume, die in der Brise schwanken, die für den Herbst eigentlich zu sanft ist.
    »Er ist gut versteckt. Selbst ich komme nur selten hierher.« Weil meine Mutter von dieser Klippe stürzte , denke ich. Weil ihr zerbrochener Körper auf den Felsen dieses plätschernden Sees unter uns lag. Weil ich es einfach nicht ertragen kann.
    Ich deute zu einem großen Felsbrocken, etwas von der Kante entfernt. »Wollen wir uns setzen?«
    Sie nickt, immer noch unfähig, die Augen von dem lockenden Wasser in der Tiefe abzuwenden. Wir setzen uns nebeneinander auf den Felsen, lassen unsere Rocksäume über den staubigen Boden schleifen. Ich habe Fragen. Aber sie sind mir selbst unbegreiflich, wie Phantome, dunkle Schatten, die unter der Oberfläche meines Bewusstseins dahingleiten.

    »Ich wusste, dass du kommst.« Sie sagt es so beiläufig, als ob ich wissen sollte, was genau sie damit meint.
    »Was? Wie konntest du …?«
    »Gestern. Bei der Sitzung. Ich wusste, dass du es bist.«
    Ratlos zucke ich mit den Schultern. »Ich verstehe gar nichts.«
    Sie schaut mir in die Augen, so wie mir normalerweise nur Alice in die Augen schaut. Als ob sie mich kennen würde. »In letzter Zeit, wenn ich versuche, eine Sitzung abzuhalten und die Augen schließe, sehe ich dein Gesicht vor mir. Dein Gesicht und … Nun, viele merkwürdige Dinge, die ich normalerweise nicht sehe.«
    »Aber wir haben einander doch erst gestern kennengelernt! Wie konntest du mein Gesicht sehen in … in deinen Visionen?«
    Sie starrt auf den See. »Es gibt nur eine Erklärung, die mir einfällt. Nur einen Grund, warum ich dich sah, warum ich wusste, dass du kommen würdest.«
    Sie wendet den Blick vom See ab und schaut zu Boden, weicht meinem Blick aus, während sie den Handschuh von ihrer linken Hand abzieht. Sie legt ihn quer über ihren Schoß und schiebt den Ärmel hoch.
    »Es ist deswegen, nicht wahr? Es ist das Zeichen.«
    Da ist es. Unverkennbar. Der Kreis, die sich windende Schlange.
    Genau wie meins. Genau wie das auf dem Medaillon.
    Jede Zelle meines Körpers, jeder Gedanke in meinem Kopf, jeder Blutstropfen in meinen Adern scheint stillzustehen.
Als sich alles wieder bewegt, geschieht es wie in einer Schockwelle.
    »Das kann nicht sein. Es … Darf ich?« Ich greife nach ihrer Hand.
    Sie zögert, dann nickt sie, und ich nehme ihre schmale Hand in meine. Ich drehe sie um und erkenne auf einen Blick, dass ihr Zeichen in der Tat das gleiche ist wie meins. Nein, nicht genau gleich. Ihr Zeichen ist nicht rot, sondern einen Ton heller als ihre Haut. Es ist erhaben, genau wie meins, als ob es eine alte Narbe wäre.
    Aber das ist nicht alles. Das ist nicht der einzige Unterschied.
    Der Kreis ist da und auch die Schlange, aber mehr nicht. Der Buchstabe C erscheint nicht auf Sonias Handgelenk, obwohl das Zeichen ansonsten das genaue Abbild von meinem und dem auf dem Medaillon ist.
    Behutsam, wie ein Geschenk, lasse ich ihre Hand wieder los. »Was ist das?«
    Sie kaut an der Unterlippe und deutet dann mit dem Kopf auf meine Hand. »Lass mich zuerst sehen.«
    Ich strecke ihr meine Hand entgegen. Sie nimmt sie und fährt mit den Fingern das C in der Mitte des Kreises nach. »Deins ist anders.«
    Mein Gesicht brennt vor Scham, obwohl ich nicht weiß, warum. »Ja, ein bisschen, obwohl man auch sagen könnte, deins ist anders. Seit wann hast du es?«
    »Schon immer. Ich wurde damit geboren, sagt man.«
    »Aber was bedeutet es?«

    Sie atmet tief ein und richtet den Blick auf die Bäume. »Ich weiß es nicht. Nicht genau jedenfalls. Die einzige Erwähnung des Zeichens, die einzige von der ich weiß, stammt aus einer kaum bekannten Legende, die man sich in spiritistischen Kreisen und unter all denjenigen erzählt, die sich für die Wächter interessieren. Und in den fast vergessenen Kapiteln ihrer Geschichte.«
    »Die Wächter?«
    »Ja, aus der Bibel.« Sie sagt das, als ob ich Bescheid wissen müsste, als ob ich mit der Bibel vertraut

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