Die Prophezeiung der Seraphim
er inbrünstig, nahm ihre Hand und drückte sie an seine Brust. Sie fühlte sein Herz heftig klopfen. »Täglich mit dir zusammen zu sein«, fuhr er fort, »morgens nur von Ferne dein blondes Haar zu sehen, wenn du zum Bach läufst, um Wasser zu holen – das macht mich so glücklich!« Er legte seinen anderen Arm um ihre Taille, zog sie an sich und küsste sie. Doch war es kein leichtes Streifen der Wange wie sonst, er presste seine leicht geöffneten Lippen auf Julies Mund. Sie seufzte, als seine Zunge über ihre Vorderzähne und ihre Lippen strich. In dem Moment wurde ihr jedoch bewusst, dass Fédéric sie nur küsste, weil sie ihn verzaubert hatte. Sie verfluchte ihren Übermut und stemmte die Hände gegen seine Brust, um sich zu befreien.
»Was ist denn?«, fragte er verwirrt.
»Äh, Fédéric … es hat geklappt.«
»O ja, zwischen uns hat es immer gut geklappt.« Er zog sie erneut an sich. »Ich weiß gar nicht, warum ich es dir nie gesagt habe, aber ich …«
»Die Magie!«, rief sie, bevor er seinen Satz beenden konnte. »Die Magie hat geklappt! Du sagst das alles nur, weil ich dich verhext habe!«
Herzlichen Dank!, schickte sie an Songe, die dem Schauspiel zusah. Da hast du mir ja was eingebrockt!
Dann unternimm etwas dagegen, bevor er noch vor dir auf die Knie fällt , riet die Katze.
Julie besann sich. Songe hatte recht; ebenso, wie sie ihm ein Gefühl der Zuneigung gesandt hatte, konnte sie ihm ein anderes schicken. Nur fiel es ihr reichlich schwer, sich auf die Magie zu konzentrieren, während Fédéric sie immer noch im Arm hielt. Sie bekam Lust, in sein Haar zu fassen und ihn noch einmal zu küssen, zwang sich aber, ihm ein schlechtes Gewissen zu schicken, wie sie selbst es einmal gehabt hatte, nachdem sie heimlich ein Stück von Gabrielles Apfelkuchen stibitzt und die Schuld daran Songe zugeschoben hatte.
Da Fédéric ihr so nah war, trat die Veränderung augenblicklich ein. Er ließ Julie los und taumelte mit betroffener Miene zwei Schritte zurück. »Es tut mir leid«, stammelte er. »Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Bitte verzeih mir, das wird nie wieder geschehen!« Damit drehte er sich um und stürzte davon.
Julie blies die Luft hörbar aus und sank auf einen Felsbrocken neben Songe. Halb war ihr zum Lachen zumute, halb zum Weinen. »Meine Güte, was habe ich nur angerichtet!« Sie begann zu ahnen, dass ihre Gabe nicht nur Gutes bewirken konnte. Doch das Ziel der Lektion hatte sie erreicht: Obwohl sie sich müde fühlte, war sie nicht mehr so erschöpft wie sonst, wenn sie ihre Gabe benutzt hatte.
Songe schnurrte belustigt: Du hast es dir allerdings einfach gemacht – Fédéric schien mir ein sehr zugängliches Opfer .
Julie seufzte . Vielleicht hätte ich nicht ausgerechnet ihn dafür auswählen sollen.
In der folgenden Nacht schlief Julie nicht gut. Immer wieder schreckte sie von Schuldgefühlen geplagt hoch. Sie hätte Fédéric nicht benutzen dürfen. Und ihr Herz schlug für Nicolas, dessen war sie inzwischen sicher.
Die Übung mit Fédéric hatte ihr gezeigt, welche Macht sie besaß. Wenn sie wollte, konnte sie jemanden dazu bringen, sie zu lieben. Oder jemand anderen, sie zu hassen. Sie hoffte, dass diese Gefühle vergänglich waren und nach einiger Zeit erloschen, sobald die Kraft der Magie nachließ. Morgen würde sie zu Fédéric gehen, um zu sehen, ob er sich noch immer im Liebesrausch befand oder zwischen ihnen alles wieder so freundschaftlich wie immer war. Beruhigt schlief Julie ein.
Doch sie fand erst am nächsten Abend Gelegenheit, ihren Vorsatz zu verwirklichen, als es selbst für Javier zu dunkel wurde, um mit Messern zu werfen. Julie machte sich auf die Suche nach Fédéric. Sie mochte diese Tageszeit, wenn vor den Zelten die Feuer brannten und den Kesseln darüber die unterschiedlichsten Aromen entstiegen. Das Leben folgte einem langsameren Takt, wie in Vorbereitung auf die Nacht. Leise Gespräche hingen in der Luft, ab und zu weinte ein Kind, das nicht schlafen gehen wollte.
Sie fand ihn in der Nähe des Flussufers, wo er mit Eisenrachen Feuerspucken übte. Sie blieb in einiger Entfernung stehen und sah zu. Gerade zeigte der Feuerspucker seinem Lehrling, wie er die Fackel halten sollte. Fédéric nahm einen Schluck aus der dunklen Flasche zu seinen Füßen und prustete eine glühende Wolke in die Dämmerung. Er bemerkte Julie erst, als sie Beifall klatschte.
»Nicht schlecht, Guyot!«
»Es scheint, als hätte er sein Leben lang nichts anderes
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