Die Prophezeiung der Seraphim
getan.« Eisenrachen legte Fédéric die Hand auf die Schulter. Sogar im Zwielicht sah Julie, dass Fédéric vor Freude rot wurde. Genau das hatte ihm immer gefehlt: jemand, der ihn lobte, statt ihn mit Maulschellen zu belohnen.
»Gut, dass ihr am Flussufer übt, so kannst du ins Wasser springen, falls du dich in Brand steckst!«, rief sie ihm zu.
»Mach dich nur lustig, so wie du es gestern getan hast!«
Sie senkte den Blick und fragte vorsichtig: »Kannst du dich an alles erinnern?«
»Und ob!« Er kam näher und der scharfe Geruch des Brandmittels schlug ihr entgegen.
»Es tut mir leid, ehrlich«, sagte sie. »Ich dachte nicht, dass es so eine Wirkung haben würde.«
»Du bist ziemlich begabt.« Fédéric fuhr sich durchs Haar und grinste.
»Ich bin froh, dass du mir nichts nachträgst.« Julie stieß ihn freundschaftlich mit dem Ellbogen an. »Wir wissen ja beide, dass das alles nicht wahr ist, was du dahergeplappert hast.«
Fédéric öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu, öffnete ihn erneut und sagte: »Genau. Richtig.«
»Gut, dann vergessen wir das Ganze! Verbrenn dir nicht die Schnute!« Bevor er antworten konnte, lief sie davon, froh, die Sache hinter sich gebracht zu haben. Beschwingt ging sie weiter zu Flajollets Wagen, wo Nicolas dabei war, die Pferde zu striegeln. Er zuckte zusammen, als sie unter dem Hals des Schimmels hindurchtauchte und plötzlich vor ihm stand.
»Keine Angst, ich bin kein Cherub.« Sie legte ihre Hand auf den Hals des Pferdes und kraulte seine Mähne. Das Tier schnaubte und rieb seine Stirn an ihrer Schulter.
»Kommst du, um mich schwitzen zu sehen?« Nicolas grinste schief. »Ich bin tief gesunken wegen Euch, Mademoiselle.«
»Ein bisschen Arbeit schadet dir nicht. Und du stinkst ganz exquisit.«
»Ach, wirklich?« Er hielt inne und zog die Augenbrauen hoch. »Dann werde ich dir etwas davon abgeben!«
»Nicht!«
Aber Nicolas war schneller als sie, legte seine Arme um sie und drückte sie an sich. »Köstlich, nicht wahr?«
»Glaubt Ihr vielleicht, mit ein bisschen Schweiß und Pferdemist könnt Ihr mich beeindrucken, Herr Graf? Aus St. Marcel bin ich anderes gewohnt.«
»Dann muss ich mir etwas Besseres einfallen lassen«, sagte er und küsste sie. Endlich , dachte sie, und in ihrem Bauch tanzten Schmetterlinge. Lange Zeit standen sie zwischen den warmen Pferdeleibern und hielten sich umschlungen, oder vielleicht hielten sie sich auch aneinander fest.
»Wir müssen nicht nach St. Malo«, murmelte Nicolas an ihrem Mundwinkel. »Ich kann dich noch immer in Sicherheit bringen.«
»Nein, das kannst du nicht«, sagte sie. »Du rächst dich an deiner Mutter, ich mich an meinem Vater.« Sie befreite sich aus seiner Umarmung und trat einen Schritt zurück.
»Wie hart du sein kannst«, sagte Nicolas. »Wenn ich Cal Savéan wäre, würde ich mich fürchten.«
»Der Erzengel? Vor mir? Ich bin nur ein Mädchen.«
»Du bist eine Seraph. Du solltest deine Augen sehen, dann wüsstest du, wovon ich spreche.«
»Was ist denn mit meinen Augen?«
»Sie zeigen, dass du niemals aufgeben wirst.«
»Das werde ich auch nicht.« Julie sah wieder die Leichen von Gabrielle und Jacques vor sich und starrte einige Augenblicke schweigend auf den Boden, um ihrer Gefühle Herr zu werden. »Das Schlimmste ist«, fuhr sie dann fort, »dass es mir vorkommt, als wäre alles schon so lange her. Ich kann mich kaum noch an meine Pflegeeltern erinnern, obwohl ich vor Kurzem noch mit ihnen am selben Tisch saß und wir gemeinsam zu Abend gegessen haben.«
»Für mich sind gemeinsame Abendessen mit meiner Mutter keine angenehmen Erinnerungen.« Nicolas nahm den Striegel, den er auf dem breiten Rücken des Schimmels abgelegt hatte, wieder zur Hand und fuhr damit über die Flanke des Pferdes. »Ihr Spott ist ätzend wie Salzsäure. Und sie verspritzt ihn reichlich.«
»Das tut mir sehr leid für dich«, sagte Julie leise. »Jeder sollte von seinen Eltern geliebt werden.«
»Wenigstens hat es mich unempfindlich gemacht.«
»Das glaube ich nicht.« Julie legte ihre Wange an den Pferdehals und sah ihn an.
Er hielt inne und erwiderte ihren Blick. »Sag mir eines: Vertraust du mir?«
»Ja, Nicolas, das tue ich. Denn meine Rache wird deine Vergeltung sein, das hast du selbst gesagt. Wir haben dasselbe Ziel.«
»Vielleicht bin ich weniger entschlossen als du«, antwortete er, und fuhr dann leichthin fort: »In Rennes willst du also tatsächlich mit dem Spanier auftreten?«
Julie brauchte einen
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