Die Prophezeiung des Adlers
Ravennas.«
DieimZeltversammeltenOffizierebeobachtetendieAuseinandersetzunginerschüttertemSchweigen.EinenAugenblicklangreagierteVitelliusnicht,eswar,alswäreervölligbenommen.DannschüttelteerdenKopfundmachtedenRückengerade.»Nein.DazuhastdukeineBefugnis.«
»Doch, die habe ich.« Vespasian wandte sich an einen der Tribunen und schnippte mit den Fingern. »Decimus, die Vollmacht, bitte.«
Der Tribun steckte die Hand unter den Brustpanzer und holte ein gefaltetes Blatt Papyrus hervor. Er reichte es Vespasian, der es sorgfältig öffnete und dann Vitellius hinhielt.
»Lies das.«
Vitellius starrte das Dokument an, als wäre es giftig. Dann streckte er die Hand aus und ergriff es. Vespasians Vollmacht war durch Kaiser Claudius selbst erteilt und ungewöhnlich wortkarg gehalten. Dennoch war sie ganz eindeutig, was die allumfassende Befehlsgewalt betraf, die dem neuen Kommandanten der Flotte Ravennas verliehen worden war. Vitellius faltete das Dokument zusammen und reichte es zurück.
»Meinen Glückwunsch, Herr«, sagte er in einem Tonfall tiefer Erbitterung. »Die Flotte steht unter deinem Kommando … Darf ich fragen, was aus mir werden soll?«
VespasianhattedieFrageerwartetunddieAntwortparat.AngesichtsseinerumfassendenVollmachtenhätteerVitelliusfestsetzenundwegenUnfähigkeitverurteilenkönnen.Erhätteihnsogarhinrichtenlassenkönnen,wennerdaswollte.AberinbeidenFällenwürdeerschwierigeFragenbeantwortenmüssen,sobaldernachRomzurückkehrte.AuchwennderLieblingdesKaisersdenFeldzugvollkommenvermasselthatte,warClaudiusihmdochnochimmerzugetan.Undzwargenug,umRacheandemMannzunehmen,derseinenSchützlingvernichtethatte.UndwennVitelliusamLebenblieb,würdeersichmitSicherheitwiederindieGunstdesKaiserseinschmeichelnundinZukunfteineGefahrfürVespasiandarstellen.
Vespasian blieb kaum eine Wahl. Vitellius musste für den Rest des Feldzugs bei der Flotte bleiben, wo der Senator ihn im Auge behalten konnte. Außerdem mochte eine wohlüberlegte Zuweisung von Pflichten mit etwas Glück dazu führen, dass Vitellius getötet wurde, und dann wäre Vespasian das Problem los.
Er sah Vitellius lange an, als wägte er sein Schicksal ab, und antwortete dann:
»Du bleibst hier. In Anbetracht der Verluste, die wir deinen Entscheidungen zu verdanken haben, brauche ich jeden Mann, der ein Schwert halten kann. Vorläufig behalte ich dich in meinem Stab. Aber du wirst Seite an Seite mit den Soldaten kämpfen, wenn die Schlacht beginnt.«
Vitellius neigte den Kopf.
Vespasian blickte sich im Zelt nach den anderen Offizieren um, unter denen noch immer großes Erstaunen über die außerordentliche Entwicklung herrschte, die die Ereignisse genommen hatten. »Bis jetzt wird sonst niemand für das Versagen der Flotte verantwortlich gemacht. Ihr werdet alle in eurem derzeitigen Rang verbleiben. Seid euch aber darüber im Klaren, dass eure Leistung in Rom großes Missfallen erregt hat. Ihr habt nun Gelegenheit, meine Herren, die Scharte auszuwetzen, eure Ehre und die Ehre der Flotte reinzuwaschen. Ich rate euch, darüber nachzudenken. Ab morgen gehen wir in die Offensive.«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich unter den Offizieren. Dann nickte Vespasian zu Macro und Cato hinüber. »Hier sind zwei Männer, die bereits unter mir gedient haben. Sie wissen, dass ich viel von meinen Leuten erwarte. Aber sie wissen auch, dass ich gerecht bin. Dient mir, wie sie mir gedient haben, und wir werden siegen. Wir werden die Piraten bis auf den letzten Mann töten oder gefangen nehmen, und wir werden ihre Schiffe und ihren Stützpunkt zerstören. Wenn alles vorbei ist, wird es für jeden von uns, der den Kampf überlebt, genug Beute geben. Aber wenn ihr mich auf irgendeine Weise enttäuscht, könnt ihr keine Gnade erwarten. Meine Herren, verstehen wir uns?«
Die Offiziere nickten, und einige von ihnen murmelten zustimmend.
»Nun gut. Ab jetzt wird es ernst. Kehrt zu euren Einheiten zurück und macht euch zum Aufbruch bereit. Wir brechen das Lager morgen ab und segeln die Küste hinauf. Diesmal habt ihr keine Gelegenheit, Fragen zu stellen. Wegtreten … Centurio Macro, Centurio Cato, bleibt hier. Ich habe einen kleinen Auftrag für euch.«
Während die anderen Offiziere durch die Zeltklappen nach draußen schlüpften, beugte sich Macro zu seinem Freund vor und flüsterte: »Hast du eine Ahnung, worum es geht?«
»Nein.«
»Na großartig. Einfach großartig.« Macro schüttelte den Kopf. »Ich würde gutes Geld darauf setzen, dass wir wieder mal die Arschkarte
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