Die Prophezeiung des Adlers
»Nichts als das, was ich von dir verlange. Und ich verlange, dass du dich ergibst!«
Es folgte eine kurze Pause, und dann kam die Antwort. »Nein!«
Es war das, was Vespasian befürchtet hatte, und das Herz wurde ihm schwer von der Last all der Menschenleben, die der Trotz des Piratenkommandanten fast mit Sicherheit fordern würde. Er blickte zur Brustwehr hinauf. »Nun gut. Ich werde bei Tagesanbruch mit deinem Sohn zurückkehren. Dann werde ich noch ein einziges Mal deine Kapitulation fordern. Ich gebe dir mein Wort, dass deine Männer und Ajax in diesem Fall verschont werden.«
Er richtete den Finger auf Telemachos. »Bis zur Morgendämmerung!«
Vespasian wandte sich ab und winkte Minucius, den Gefangenen mitzunehmen. »Bring ihn auf die Trireme zurück und bewache ihn gut.«
»Jawohl, Herr.« Minucius stieß den Gefangenen vor sich her.
Als die Gruppe rasch zu den römischen Linien zurückmarschierte, blickte Ajax sich ein letztes Mal verzweifelt nach seinem Vater um.
Sobald sie hinter der Wachtpostenkette in Sicherheit waren, schritt Vespasian, von seinen Tribunen gefolgt, zum Hauptquartierszelt davon. Die meisten seiner Offiziere würden sich schon für die Besprechung versammelt haben, und nach der Schlacht des heutigen Tages mussten sie erschöpft sein. Es wäre nicht richtig, sie länger als unbedingt nötig warten zu lassen, da sie ja auch noch die Vorbereitungen für den Angriff am nächsten Tag treffen mussten. Nur jene Offiziere, die zu schwer verwundet waren, waren entschuldigt.
Zu diesen gehörte auch Vitellius.
Wie Vespasian gehofft hatte, war der Tribun im Kampfgetümmel verwundet worden. Unglückseligerweise hatte der dafür verantwortliche Pirat halbe Sache gemacht und nur den Helm des Tribuns getroffen. Der Hieb war abgeglitten und in Vitellius’ Schulter gefahren. Der Tribun hatte den Vorfall in allen Einzelheiten geschildert, als Vespasian an Land gegangen und auf dem Strand zu ihm getreten war. Vitellius’ Schulter war mit blutbefleckten Verbänden umwickelt gewesen, und der Mann hatte sich kaum auf den Beinen halten können. Als Vespasian sich seinem Zelt näherte, schüttelte er voll Bedauern, dass Vitellius überlebt hatte, erbittert den Kopf.
Vespasian eilte durch die Zeltklappe, und die Centurionen und Trierarchen standen erschöpft auf, als er zwischen ihnen hindurch zu seinem Feldzugstisch marschierte und sich setzte.
»Danke, meine Herren.« Er winkte ihnen, sich zu setzen, und blickte mit einem herzlichen Lächeln auf. »Als Erstes nehmt meinen Dank für eure heutige ausgezeichnete Leistung entgegen. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit unsere Herren in Rom euren Wert und eure Professionalität erkennen. Das gilt ganz besonders für die Offiziere, die heute Morgen unter Centurio Macro gedient haben. Das war hervorragende Arbeit.« Er neigte den Kopf vor Macro, der befangen auf seiner Bank herumrutschte.
»Aber unsere Arbeit ist noch nicht beendet«, fuhr Vespasian fort. »Telemachos und einige seiner Männer sind noch immer am Leben. Ich bin fest entschlossen, diesen Stand der Dinge bis zum Ende des morgigen Tages zu ändern.«
Die Offiziere regten sich verlegen, und einige blickten einander mit leichtem Kopfschütteln an. Vespasian hatte eine solche Reaktion erwartet und deshalb viel Verständnis dafür. Die Piraten saßen in der Falle, sie konnten nicht entkommen, und unter normalen Umständen wäre es jetzt an der Zeit gewesen, sich zurückzulehnen und sie auszuhungern. Jeder Angriff auf die Festung wäre, selbst wenn er sich als erfolgreich erwiese, eine unnütze Verschwendung von Menschenleben. Aber diese Offiziere waren nun einmal nicht in die Befehle des Kaiserlichen Sekretärs eingeweiht, der verlangt hatte, dass die Schriftrollen so schnell wie möglich zurückerobert wurden, um welchen Preis auch immer.
Er räusperte sich, blickte auf und begegnete ihrem Blick. »Ich nenne den Piraten gleich bei Anbruch des Tages die Bedingungen einer Kapitulation. Wir haben ein nützliches Druckmittel – Telemachos’ Sohn. Doch ich könnte mir vorstellen, selbst wenn Telemachos alles opfern würde, um seinen Sohn zu retten, werden seine Leute das anders sehen, und sie werden ihm klarmachen, dass eine Kapitulation nicht infrage kommt. Daher wird es leider höchstwahrscheinlich auf einen Angriff auf die Festung hinauslaufen. Wir können uns keine lange Belagerung leisten. Jeder Tag, den wir hier herumsitzen, bietet Telemachos die Möglichkeit, einen Fluchtweg
Weitere Kostenlose Bücher