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Die Prophezeiung des Adlers

Die Prophezeiung des Adlers

Titel: Die Prophezeiung des Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Scarrow
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Bedienungsmannschaft der Onager stieß einen Jubelruf aus.
    »Gut gezielt!«, rief Vespasian dem obersten Waffentechniker zu. »Verbrauche noch die drei anderen Steine. Dann lass die restlichen Waffen aufbauen. Ich möchte, dass die Mauer bis morgen früh in Trümmern liegt.«
    Der oberste Waffentechniker spitzte die Lippen. »Das wird nicht einfach werden, Herr. Wir müssen blind schießen. Da werden die meisten Schüsse wahrscheinlich ihr Ziel verfehlen. Es wäre eine Verschwendung von Munition, Herr.«
    Vespasian lächelte geduldig. »Ich habe nicht gefragt, ob es leicht werden würde; ich habe dich aufgefordert, es zu tun. Kümmere dich bitte darum.«
    Der oberste Waffentechniker salutierte und drehte sich zu seinen Leuten um. »Los! Ihr habt den Präfekten gehört. Bauen wir sie auf.«
    Vespasian wandte sich an einen seiner Stabsoffiziere. »Lass Centurio Minucius seinen Gefangenen hochbringen. Ich brauche sofort zwei Abteilungen Marineinfanteristen als Wachmannschaft.«
    Der Tribun salutierte und eilte davon. Vespasian blieb zurück und starrte auf die Festung, während drei weitere Steine gegen die Mauern des Torhauses krachten. Beim Zuschauen dachte er über seinen nächsten Schritt nach. Vespasian vermutete, dass das, was er als Nächstes tun würde, vergeblich war. Aber er musste es versuchen, um Zeit zu sparen und Menschenleben zu schonen. Falls Telemachos überhaupt eine Schwäche hatte, dann mochte das die stolze Liebe eines Vaters zu seinem Sohn sein.
    Kurz darauf näherte sich eine kleine Gruppe der Festung über den Dammweg. Ein Tribun ging mit einem Trompeter voraus, der regelmäßig zwei Töne auf seinem Instrument herausschmetterte, um die Verteidiger auf ihr Kommen aufmerksam zu machen. Neugierige Gesichter tauchten über der Brustwehr auf, und Vespasian befahl der Gruppe, unmittelbar außerhalb der Reichweite der Steinschleudern haltzumachen. Er legte die Hände trichterförmig an den Mund und rief:
    »Ist Telemachos da … ? Telemachos?«
    Einen Augenblick lang fragte er sich, ob der Kommandant der Piraten vielleicht in der Schlacht gefallen war. In diesem Fall wäre Vespasians Versuch, die Belagerung zu beenden, sofort zum Scheitern verurteilt. Doch gerade, als dieser Zweifel in ihm aufstieg, sah Vespasian über dem Torhaus eine hochgewachsene Gestalt auftauchen.
    »Ich bin Telemachos«, rief der Mann auf Griechisch. »Was willst du, Römer? Es ist nicht zu spät für eine Kapitulation. Vielleicht bin ich ja gnädig.«
    Das Gelächter der Verteidiger drang an Vespasians Ohren, und unwillkürlich musste er über den tapferen Versuch des Kommandanten lächeln, den Mut seiner Männer zu heben. Unter anderen Umständen hätte das Imperium eine Führerpersönlichkeit mit seinen Fähigkeiten gut gebrauchen können. Aber Telemachos hatte der Piraterie den Vorzug vor dem Dienst im Imperium gegeben, und folglich musste er sterben. Vespasian wandte sich Centurio Minucius zu.
    »Führe Ajax nach vorn. Sorge dafür, dass sie eine gute Sicht auf ihn haben.«
    Minucius zerrte seinen Gefangenen vor den Präfekten und die Wachmannschaft. Er stellte sich hinter Ajax, hielt dessen Arme hinter dem Rücken fest und flüsterte ihm ins Ohr: »Denk nicht einmal an einen Fluchtversuch. Ich würde dich abschlachten, bevor du auch nur fünf Schritte weit gekommen wärest.«
    Vespasian trat vor und stellte sich neben Ajax. »Telemachos! Wir haben deinen Sohn! Ich biete dir sein Leben als Gegenleistung für eure Kapitulation an.«
    Auf der Festungsmauer herrschte Schweigen, und dann rief Telemachos seine Antwort: »Und wenn wir kapitulieren, Römer, was dann? Kreuzigung? Wir kämpfen lieber und sterben hier, in unserem Zuhause, als an euren Kreuzen.«
    »Du wirst sterben, Telemachos, so oder so. Aber deine Leute werden am Leben bleiben. Als Sklaven zwar, aber sie werden leben – und dasselbe gilt auch für deinen Sohn. Vorausgesetzt, ihr ergebt euch vor Tagesanbruch, wenn meine Männer mit dem Angriff beginnen. Willst du mir Widerstand leisten, wird Ajax hier, wo ich stehe, gekreuzigt. Dann nehmen wir deine Festung ein, und es wird keine Gnade geben. Wie lautet deine Antwort?«
    Ajax wand sich verzweifelt in Minucius’ Griff und schrie: »Vater. Nicht … «
    Sofort verpasste Minucius ihm einen heftigen Schlag in die Nieren. »Halt die Klappe, du … «
    »Römer!«, schrie Telemachos. »Ich schwöre dir, wenn du ihn noch einmal anrührst, dann werde ich … «
    »Du wirst gar nichts tun!«, rief Vespasian zurück.

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