Die Prophezeiung des Adlers
genagelter Sohlen hallte durch den Frachtraum der Trireme, als die Ankömmlinge oben zur Hauptluke marschierten. Schatten zeichneten sich vor dem Nachthimmel ab; dann sah man Stiefel auf den Stufen des Niedergangs, und ein Mann in der Uniform eines gemeinen Marineinfanteristen betrat den Frachtraum. Gleich darauf erblickte Minucius Vitellius mit zweien seiner Leibwächter. Der Centurio sprang von seiner improvisierten Liege auf und nahm stramme Haltung an. Ajax’ Augen glühten vor offener Feindseligkeit.
Vitellius winkte mit dem nicht verbundenen Arm ab. »Steh bequem, Centurio. Ich bin gekommen, um den Gefangenen zu holen.«
»Den Gefangenen, Herr?« Minucius schaute überrascht. »Ich habe doch Befehl, dass er bis Tagesanbruch hierbleiben soll. Befehl von Vespasian persönlich.«
»Nun, der Präfekt möchte ihn sich jetzt vorführen lassen. Zum Verhör.«
»Mitten in der Nacht, Herr?« Minucius kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Schwer zu glauben.«
Er trat zu Ajax zurück und packte seinen Schwertgriff.
Vitellius sah ihn an und sprach leise und ernst. »Du wirst mir den Gefangenen übergeben, das ist ein Befehl, Centurio.«
»Nein, Herr. Er geht hier erst weg, wenn der Präfekt es befiehlt.«
Die beiden Männer starrten einander an, und dann warf Minucius einen Blick auf die Leibwächter des Tribuns, die sich zu seinen Seiten vorschoben. Das Schwert des Centurios fuhr rasselnd aus der Scheide, und er hob die Spitze dem Tribun entgegen.
Vitellius lächelte. »Das ist nicht nötig, Centurio. Schön, du hast meinen Trick durchschaut. Ich brauche den Gefangenen. Nun könnte ich ihn mir mit Gewalt nehmen. Aber dabei könntest du mich oder einen meiner Männer verletzen. Das kann ich mir nicht leisten. Meine Leute sind ohnehin schon knapp. Daher möchte ich dir ein Angebot machen.«
»Ein Angebot? Was denn für ein Angebot?«
»Dich reich zu machen, sehr reich. Nun, ich weiß, dass du das Geld gebrauchen könntest. Ich habe mir deine Unterlagen angeschaut. Deine Entlassung steht nächstes Jahr bevor.«
»Richtig. Und?«
»Du bist ein römischer Bürger, wirst also das übliche Geldgeschenk erhalten. Wahrscheinlich hast du genug für einen angenehmen Ruhestand gespart. Du wirst einigermaßen gut leben, aber es wird keinen Luxus geben. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Mann wie du sich ein Bauernhaus oder ein Gasthaus kauft. Warum solltest du kein besseres Leben anstreben, Minucius? Nach fünfundzwanzig Dienstjahren hast du das verdient.«
Der Centurio starrte ihn an. Vitellius konnte beinahe hören, wie er sein Angebot durchdachte, und musste sich Mühe geben, nicht zu lächeln. Die Menschen waren letzten Endes so einfach gestrickt. Man musste ihnen nur den richtigen Anreiz bieten, und man konnte sie zu fast allem bewegen. Für manche Menschen war es die Aussicht auf Liebe oder sogar nur Sex. Für andere waren es Reichtümer, und Minucius war alt genug, den dauerhafteren Wert des Geldes zu kennen.
Minucius beobachtete den Gesichtsausdruck des Tribuns genau. »Und was muss ich tun, um dieses Vermögen zu verdienen?«
»Uns mit dem Gefangenen begleiten.«
»Wohin soll’s denn gehen, Herr?«
»Wir machen eine kleine Bootsfahrt. Ajax hier wird uns einen Weg in die Festung zeigen.«
»In die Festung?«, schnaubte Minucius. »Das hätte ich mir denken können. Tritt zurück!«
Vitellius wollte beschwichtigend beide Hände heben, aber der Verband um seine Schulter hemmte die Geste. Er runzelte die Stirn. »Einen Augenblick mal.«
Er trat einen Schritt von Minucius zurück, griff mit der freien Hand über die Brust, öffnete den Knoten des blutbefleckten Verbandes, nahm ihn rasch ab und stopfte ihn unter seine Tunika. Gleich darauf war auch der Kopfverband entfernt, und Minucius schüttelte den Kopf angesichts des Fehlens jeder Wunde unter den Stoffbinden.
»Nun, nun.«
»Ich brauche ein Alibi«, erklärte Vitellius. »Alle gehen davon aus, dass ich derzeit in meinem Zelt liege und mich von meinen Verletzungen erhole.« Er streckte Minucius die Hand hin. »Die Abmachung sieht folgendermaßen aus: Du begleitest uns. Wir begeben uns in die Festung, wo Ajax uns in die Räumlichkeiten seines Vaters führt. Der hat etwas in seinem Besitz, was ich gerne haben möchte. Es ist in einer kleinen Truhe eingeschlossen. Ajax war so freundlich, uns zu berichten, dass sein Vater sein Privatvermögen ganz in der Nähe aufbewahrt. Ich behalte die Truhe und ihren Inhalt, und du und meine Leibwächter hier, ihr
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