Die Prophezeiung des Adlers
Zügelschnalzen lenkte Nepos sein Gespann auf dem Weg zur Kaiserloge nach außen. Allmählich holte er Porcius ein und schob sich dann ganz langsam an die Seite der Blauen vor. Porcius erkannte die Gefahr und fuhr mit einem kurzen Zügelrucken einen Schlenker, um seinem Rivalen den Weg abzuschneiden.
Ein Geheul der Empörung stieg von den Anhängern der Grünen auf, und Macro ballte die Hände zu Fäusten, hielt aber die Lippen fest zusammengepresst. Cato an seiner Seite wurde ganz elend, als er sah, wie der Mann, an dem das Schicksal ihrer letzten paar Münzen hing, seine Pferde verzweifelt zügelte und dann unvermittelt nach links ausbrach, näher zur Insel. Porcius hatte sein Manöver jedoch falsch kalkuliert, und jetzt kamen seine Pferde aus dem Tritt, während er sie zur ursprünglichen Bahn zurückdrängte. Aber es war zu spät. Nepos, der sich über die vordere Brüstung seines Streitwagens vorgebeugt hatte, schnalzte wild mit den Zügeln und feuerte sein Gespann laut an. Die Pferde schossen vorwärts, zogen auf der Innenseite an den Blauen vorbei und übernahmen die Führung. Cato wurde von einem Freudentaumel durchschossen und gab sich alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen.
»Jaaaa!« Macro schlug die geballte Faust in die Luft und schaute sich dann nervös um. Einige der Prätorianer blickten ihn überrascht an, wandten sich aber gleich wieder dem Rennen zu.
»Pass auf«, brummte Cato. »Ich habe das Gefühl, dass wir hier nicht unter Freunden sind.«
Auf der Rennbahn schoss Nepos als Erster dahin, umrundete die Insel und entschwand der Sicht. Gleich darauf bogen die Blauen hinter ihm um die Kurve und waren verschwunden. Bereits jetzt gab es einen beträchtlichen Abstand zwischen den ersten beiden Wagen und den anderen Gespannen, den Roten und den Gelben, die sich Hals an Hals einen eigenen Wettkampf lieferten und versuchten, zu den Voranfahrenden aufzuschließen. Ein zweites Mal verstummte das Geschrei auf dieser Seite der Arena, während das Rennen auf der anderen Seite der Insel weiterging. Die Köpfe fuhren zum anderen Ende der Mittelinsel herum, und alle starrten angespannt hin.
Nicht alle.
Cato schaute in die Kaiserloge und sah, dass Narcissus in seine Richtung zurücksah. Ihre Blicke begegneten sich, da war Cato sich sicher. Der Kaiserliche Sekretär starrte ihn direkt an, und Cato blieb nichts anderes übrig, als so zu tun, als geschehe das gar nicht, als wäre er einfach irgendein Gesicht in der Menge. Dann hob Narcissus die Hand, zeigte auf Cato und winkte langsam, bevor er sich wieder der Rennbahn zuwandte. Cato lief vor Entsetzen ein Schauder den Rücken hinunter. Der Kaiserliche Sekretär hatte ihn gesehen und erkannt, und nun würde Cato ihm nicht mehr aus dem Weg gehen können. Er wusste, dass er so gut wie tot war. Narcissus hatte einen der Offiziere der Wache herbeigewinkt und sprach ihm lebhaft ins Ohr. Es konnte um alles Mögliche gehen, hoffte Cato verzweifelt; vielleicht redeten sie über etwas oder jemand anders. Dann drehte Narcissus sich um und zeigte auf Cato, und der Offizier nickte und ging zum Ausgang der Kaiserloge.
Cato packte seinen Freund am Arm. »Wir müssen los! Sofort!«
»Bist du verrückt?« Macro schüttelte seine Hand ab. »Der letzte Rest von unserem Geld steht auf dem Spiel. Wir gehen nirgendwohin. Nicht bevor das Rennen vorbei ist.«
»Aber … « Catos Gedanken überschlugen sich. Er hatte keine Zeit, es Macro zu erklären. Und Macro würde sich ohnehin nicht von der Stelle rühren. »Schon gut! Ich gehe zur Taverne zurück. Dort können wir uns nachher treffen.« Er stand auf, schnappte sich seinen Helm und eilte die Treppe zum Ausgang hinauf.
Hinter ihm streckte Macro die Hand aus. »Cato! Warte! Ach, zum Henker mit dir!«
Cato eilte die steile Treppe zu den Arkaden hinunter, die die Arena unter der Tribüne umliefen. Von dort führte eine breitere Treppe zur Straße, und seine genagelten Stiefel hallten laut von den Säulen und dem Deckengewölbe des Arkadengangs wider. Über dem dumpfen Lärm der Menge meinte er, weitere Schritte von genagelten Stiefeln und einen Ruf zu hören. Drei Stufen auf einmal nehmend, rannte er die Treppe hinunter. Notfalls riskierte er eben eine Verletzung, um aus der Arena zu entkommen, bevor Narcissus’ Leute ihn aufhalten konnten. Am Fuß der Treppe trat er aus den Schatten des Gebäudes hinaus und sah, dass noch immer massenhaft Menschen auf der breiten Hauptstraße unterwegs waren, die am Circus Maximus
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