Die Prophezeiung von Tandoran - Verwundete Welt - Yoga/Fantasy-Roman: 1 (German Edition)
leihe ich es dir aus. Aber zuerst möchte Callum es lesen.“
„Darf ich sie etwas zu Callum fragen?“
Interessiert zog Allando seine Augenbrauen hoch. „Natürlich.“
„Er scheint mir manchmal ... einsam zu sein“, sagte Jason vorsichtig.
Der Meister kratzte sich nachdenklich an seinem kleinen Schnauzbart. „Das magst du richtig beobachtet haben. Er ist eher zurückhaltend, liest viel und schreibt an seinem Buch gegen die Lehren des Mansil. Aber ich würde mir diesbezüglich keine Sorgen machen, er trifft sich schon auch mit Freunden, zum Beispiel mit Jarim von der Wache oder mit Nickala.“
Jason dachte, dass gerade sie das Problem sein könnte, wollte aber vor dem Großmeister nicht näher darauf eingehen.Er stand mittlerweile vor einem brusthohen Gestell, das oben von einer gewölbten Glasrundung begrenzt wurde. Sein Blick fiel in das Innere des Behältnisses. Er konnte nur Nebelschwaden erkennen.
„Schau mal.“ Allando kam mit seinem hölzernen Stab herüber und hielt die kristallene Spitze an das Glas. Dabei murmelte er ein Wort, Jason meinte „Dwando“ zu verstehen. Es blitzte kurz im Nebel auf und hinter der Glaskuppel entstand ein dreidimensionales Bild. Jason erkannte im Hintergrund Berge, eine Straße, die mitten durch eine Festung verlief. „Das ist der Blick von Dwando aus auf den Nordpass. Dwando ist die nördlichste Stadt der Südlande. In der Mitte siehst du den Grenzposten „Argans Wächter“, den Übergang in die Nordlande. Früher herrschte ein reger Verkehr zwischen unseren Ländern. Seit dem Krieg ist davon nichts mehr übrig. Demnächst wird von dort wohl das Heer der Nordlande bei uns einmarschieren.“
Allando schaute deprimiert und fuhr fort: „Das Bild stammt von einem Sichtstein, der oberhalb des Nordtores von Dwando angebracht ist. Es gibt noch ein paar davon, ähnlich euren Webcams. Doch die übrigen zeige ich dir ein andermal. Komm, setz dich in den Sessel.“ Allando wies auf den linken von zwei Sesseln vor einem der Fenster. Dazwischen stand ein kleiner Rundtisch, auf dessen Oberfläche ein schachbrettartiges Muster eingelassen war. Jason bestaunte die kunstvoll geschnitzten Figuren, die allerdings keinerlei Ähnlichkeit mit normalen Schachfiguren besaßen. Er erkannte mehrere Ingadi, Soldaten, vier große Bäume, zwei Särge, sechs Armbrüste, Könige und Gestalten in Limartenroben.
„Es ist mit dem Schachspiel verwandt und nennt sich Da-Mu.“ Allando ließ sich in den linken Sessel fallen und bedeutete Jason, auf dem rechten Platz zu nehmen. „Vielleicht können wir später mal ein Spielchen machen. Doch heute möchte ich dir stattdessen die Grundlagen der Limartenphilosophie erläutern.“
Der Alte überlegte einen Moment. Schließlich begann er: „Wir Menschen wollen von unserer Natur her immer etwas - Vergnügen, Besitz usw. Die Wünsche hören nie auf. Soweit kein Problem. Aber wenn wir diesen Wünschen nachgehen, also unseren Begierden folgen, übersehen wir dabei allzu leicht die Bedürfnisse anderer. Darum sind Spielregeln in einer Gemeinschaft so wichtig, du kannst sie auch Werte nennen. Diese Werte finden sich in Gesetzen wieder und geben so dem menschlichen Handeln einen Rahmen. Ohne Werte, Jason, würden wir in einer Gesellschaft reiner Willkür leben. Jeder, dessen Interessen du im Wege stehst, würde dich niederschlagen oder umbringen. Im Extremfall.“
Jason lehnte sich im Sessel zurück. Es ging ein beruhigender Geruch von Allando aus, etwas Geborgenes. Er nickte und wartete ab, worauf der Meister hinauswollte.
„Wie schon gesagt: Ein ausgebildeter Limart ohne grundlegende Werte wäre ein sehr gefährlicher Zeitgenosse für die anderen Menschen. Schau dir die Stoffbahnen dort drüben an und lies mir vor, was die Schriftzeichen besagen“, forderte ihn Allando auf.
Jason fixierte die fünf Bahnen. Der Stoff war mit gelben und violetten, ästhetisch ineinander laufenden Farben durchwebt. Er las die Bedeutung der schwarzen Symbole vor: „Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Nicht-Stehlen, Enthaltsamkeit, Selbstbeherrschung.“ Er schaute zu Allando.
Dieser nickte und wies auf die gegenüberliegende Wand. „Und nun diese fünf dort.“
Jason musste aufstehen, um alle Zeichen erkennen zu können. „Reinlichkeit, Zufriedenheit, Willensstärke, Selbsterkenntnis, Urvertrauen. Das sind die Yamas und Niyamas von Patanjali, dem Autor der Yoga-Sutren. Auf diesen baut ein Großteil der Yoga-Philosophie auf der Erde auf.“ Jason strahlte stolz
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