Die Prophezeiung von Umbria
Ziel war.
Rath Talward hätte nie gedacht, dass der Tag kommen würde, an dem er dankbar für Slag sein würde.
Doch als er auf dem harten Boden der dritten Ebene in der Bestienberg-Mine lag, wo das laute Schnarchen der wahren Slagsklaven alles übertönte, da genoss er es, wie der schwarze Staub seine Ängste dämpfte und auch seine Ungeduld, die für ihn und seine Kameraden hätte gefährlich werden können.
Es war eine erfreuliche Überraschung für ihn gewesen, als er entdeckte, wie sehr die Han auf Slag angewiesen waren, um die Kontrolle über ihre Gefangenen zu behalten. Unglaublich, wie viele Bergleute ein Wächter zu bewachen hatte, und die, welche unter der ersten Ebene arbeiteten, waren nicht gut bewaffnet.
Rath hatte die längsten fünf Tage seines Lebens in der Bestienberg-Mine verbracht. Fünf Tage mühsamen Schuftens, schlechten Essens, verbrauchter Luft und erstickender Dunkelheit. Dazu noch die Kämpfe zwischen gereizten Gefangenen, die nach ihrem nächsten Slag gierten.
Und es waren geschäftige Tage gewesen. Informationen wurden gesammelt, Pläne geschmiedet, und das Band zwischen ihm und seinen rebellischen Kameraden wurde stärker. Im Geheimen fragte sich Rath, wie viel ihrer Immunität gegenüber dem Slag davon kam, dass sie die Blätter und Blüten des Freikrauts kauten und wie viel sie der Tatsache verdankten, dass in ihnen ein wenig Hoffnung keimte und sie ein Ziel hatten.
Nun war es so weit, dass ihr Vorhaben keinen Aufschub mehr duldete. Sie hatten genug über die Art und Weise, wie das Bergwerk betrieben wurde, herausgefunden. Je länger sie hier bleiben würden, desto tiefer würde man sie unter die Erde schicken, und desto eher konnte etwas schief gehen und dann säßen sie für immer in der Falle. Außerdem nahm ihr Vorrat an kostbarem Freikraut immer mehr ab.
Als die Schritte des Wächters sich entfernten, streckte Rath die schmerzenden Glieder. “Es sieht aus, als wäre unsere Zeit gekommen, Jungs. Kennt jeder seine Aufgabe?”
Bis jetzt hatten die Männer um ihn herum so getan, als würden sie schlafen. Jetzt wiederholte einer nach dem anderen flüsternd die Anweisungen, denen er folgen sollte. Als der Letzte geendet hatte, drängte alles in Rath danach, endlich zu handeln. Den anderen schien es genauso zu gehen. Sie sprangen auf, manche zitterten vor Ungeduld, andere waren angespannt wie eine schussbereite Bogensehne.
“Einen Augenblick noch.” Rath winkte sie im Halbdunkel zu sich heran. Ihm war ein seltsamer Gedanke gekommen, den er nicht einfach beiseite schieben konnte.
“Kommt.” Er streckte die Hände aus. “Bevor wir unser Vorhaben nun beginnen, lasst uns den Allgeber um seinen Segen bitten.”
Er erwartete, dass zumindest einer von ihnen ihn deswegen verspotten würde. Stattdessen stellten sie sich bereitwillig rund um ihn auf. Und die Ehrfurcht, mit der sie das taten, bot diesem unheiligsten aller Orte Trotz.
Rath gelang es, einige Worte in Umbrisch hervorzubringen. Wahrscheinlich hätte ihn keiner außer dem Allgeber verstanden. Doch er bildete sich ein, er könnte Maura hören, die ihm diese Worte ins Ohr flüsterte. Sie entzündeten in seinem Innern ein tiefes Vertrauen. Er spürte, dass es den anderen genauso erging. Es war, als würde das Beten allein sie schon der Erfüllung ihres Flehens näher bringen.
In einiger Entfernung hörte man wieder die Schritte des Wächters, der sich näherte.
“Jeder auf seinen Platz!”, flüsterte Rath. “Und wartet den richtigen Moment ab.”
Er legte sich neben Anulf auf den Boden und tat, als würde er im Schlaf schnarchen.
Genau im richtigen Augenblick begann Anulf zu zucken und nach Luft zu schnappen. Dabei gab er Geräusche von sich, wie Rath sie noch nie zuvor gehört hatte. Hätte er es nicht besser gewusst, wäre er überzeugt gewesen, dass der Mann von einem spastischen Anfall gequält wurde.
Anulf musste seine Rolle nicht lange spielen. Die Schritte des Wärters wurden schneller.
“Was soll das?”, fragte er.
Der Rest der Männer stellte sich weiterhin schlafend. Anulf spielte seinen Anfall.
“Du!” Der Han beugte sich zu Rath hinunter und schüttelte ihn kräftig.
In diesem Moment sprangen Anulf und noch vier andere auf und packten ihn. Odger, der früher einmal Schmied gewesen war, verschloss mit einer seiner Riesenhände dem Mann den Mund. Theto, ein flinker junger Taschendieb aus Ulwin, löste geschickt den Beutel mit Slag vom Gürtel des Mannes, öffnete ihn und hielt ihn dem Wächter
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