Die Prophezeiung von Umbria
“Was würdet ihr sagen, wenn ich euch erzählte, dass die Tage der Echtroi gezählt sind?”
“Ich würde dich bitten, mir keine Märchen zu erzählen”, knurrte ein alter Mann.
Doch ein junger neben Rath fragte: “Wieso sagst du das? Du scheinst etwas zu wissen.”
“Ich weiß, dass der Wartende König kommt.”
Etliche der anderen brachen in ein raues Gelächter aus.
Eine Peitsche zischte über ihre Köpfe hinweg und ein Han-Soldat bellte: “Ruhig, Minderlinge. Mal sehen, ob es euch unten im Berg immer noch zum Lachen zumute sein wird.”
Eine Zeit lang war es still.
Dann flüsterte der Bursche neben Rath: “Der Echtroi muss dir mit seinem verfluchten Stab das Gehirn verdorrt haben. Der Wartende König ist ein Märchen für Kinder und Dumme.”
“Das habe ich auch geglaubt”, erwiderte Rath. “Doch ich habe die Auserkorene Königin mit eigenen Augen gesehen.”
Und er sah in Gedanken Maura vor sich. Wie sie ihn am ersten Tag im Betchwood-Wald unsichtbar gemacht hatte. Wie sie mit den Han in Prum fertig geworden war und die Karte fand. Er sah sie vor sich, wie sie mit den Wölfen kämpfte und wie sie ihre Angst bei Raynors Spalte besiegte, weil sie um ihren Glauben kämpfte. Er erinnerte sich an die Geschichten, die sie ihm erzählt, die Zaubersprüche, die sie ihn gelehrt und wie sie ihn geheilt hatte.
“Ich sage Euch, in diesem Augenblick ist sie auf dem Weg zur Heimlichen Lichtung.”
Er machte sich darauf gefasst, dass die anderen wieder lachen würden. Aber sie taten es nicht. Sie starrten ihn an, und in ihren Gesichtern konnte er ihren inneren Kampf zwischen Glauben und Zweifel ablesen, zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Vielleicht durfte er nicht mit solch großer Inbrunst sprechen, wo er seine eigenen Zweifel doch noch nicht ganz besiegt hatte. Aber es war der einzige Weg, wie er Maura helfen konnte.
Er beobachtete die anderen, während sie über seine Worte nachdachten. Man sah ihnen an, dass sie ihm nicht glaubten. Und trotzdem glomm in ihren Augen ein Funken Hoffnung. Sie sehnten sich nach etwas, an das sie glauben konnten.
“Auserkorene Königin”, murmelte der Alte hämisch. “Der Wartende König! Was, wenn das Gewäsch wahr ist? Bis die uns zu Hilfe kommen, wird uns nichts mehr interessieren als die Frage, wann wir unsere nächste Portion Slag bekommen.”
Rath hätte ihm gerne widersprochen, aber er konnte es nicht. Bald würden sie in den Minen ankommen, würden das Brandmal im Nacken erhalten. Man würde ihnen den ersten Slag aufzwingen. Danach würde man keine Gewalt mehr anwenden müssen. Wenn Maura keinen Flugzauber besaß, lag noch eine Woche harter Wanderschaft vor ihr, bis sie die Heimliche Lichtung erreichte. Dann …
Sein Blick schweifte über die Ebene und blieb an einigen verstreut wachsenden Pflanzen hängen, die sich zäh in den Felsritzen am Rande des Weges festklammerten. Das erinnerte ihn an etwas.
“Die Auserkorene Königin erzählte mir von einer Gebirgspflanze, die einem hilft, dem Slag zu widerstehen.”
Rasch schilderte er das Aussehen der Pflanze, so wie Maura sie ihm beschrieben hatte.
“Wenn wir dieses Kraut finden, und wenn es tatsächlich hilft, seid ihr dann bereit, mir zu glauben? Wollt ihr mir dann folgen und wie Männer kämpfen, statt euch wie Sklaven zu ducken?”
Auch wenn er nur geflüstert hatte, hielt Rath es für eine aufrüttelnde kleine Ansprache. Seit er erwachsen war, hatte er seine zweifelhafte Begabung, sich Anhänger zu schaffen, verwünscht. Nun hoffte er, dass er sie nicht verloren hatte, jetzt, wo es darauf ankam.
Doch wie es schien, besaß er sie nicht mehr. Denn keiner der Männer sagte ein Wort oder sah ihm in die Augen.
Nun gut, er würde gegen die Han rebellieren, selbst wenn er es alleine tun müsste, auch ohne Hoffnung auf Erfolg. Schließlich …
“Was haben wir schon zu verlieren?”, murmelte der alte Mann schulterzuckend. “Wenn wir nicht siegen, dann geht wenigstens unser Leid schneller zu Ende.”
Das hätte ein entmutigender Gedanke sein können. Doch Rath fand ihn seltsam befreiend. Die anderen Gefangenen schienen sein Gefühl zu teilen. Ein leises Gemurmel erhob sich. Nicht eifrig und voller Jubel, sondern trotzig und grimmig entschlossen.
Rath streckte dem Alten die Hand hin. Wenn er sich nicht täuschte, hatte dieser Bursche alle Voraussetzungen für einen zweiten Kommandanten. “Rath Talward of Nonce. Manche nennen mich auch Wolf.”
“Heil, Wolf.” Der Mann schlug ein. “Sie nennen
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