Die Prophezeiung von Umbria
die aussahen wie schlanke Säulen. Dichtes Gras bedeckte den Boden wie ein luxuriöser Teppich, den kein einziges welkes Blatt verunzierte.
Bevor Maura den geheimnisvollen Ort noch länger betrachten konnte, hob der Lohwolf den Kopf und stieß ein lautes Geheul aus, das fast an einen triumphierenden Fanfarenstoß erinnerte. Dann verschwand er so schnell und leise, dass man glauben konnte, er hätte sich vor ihren Augen in Luft aufgelöst.
“Da wären wir nun”, flüsterte Rath und steckte sein Schwert in die Scheide. “Aber wo ist der Wartende König?”
“Wieso, er muss doch …”
Maura hielt die Fackel hoch. Die geheimnisvolle Schönheit der Lichtung hatte sie so gefangen genommen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass etwas fehlte. Oder besser gesagt: dass jemand fehlte.
Eigentlich hatte sie erwartet, einen mit edlen Schnitzereien versehenen Ruheplatz vorzufinden, auf dem der Wartende König lag, immer noch in den seit tausend Jahren andauernden Zauberschlaf versunken, mit dem ihn seine Geliebte damals geschützt hatte.
Doch sie konnte kein Anzeichen von ihm entdecken.
Verwirrt schüttelte Maura den Kopf. “Das verstehe ich nicht. Hattest du doch recht? Ist der Wartende König doch nur eine Legende? Wie kann das nur sein, nach all der Mühsal, die wir durchgemacht haben. Wir haben unserem Volk falsche Hoffnungen gemacht.”
“Lass jetzt nicht den Mut sinken.” Rath konnte kaum glauben, dass er es war, der diese Worte sprach. “Das hier ist die Geheime Lichtung. Die Karte hat uns hierher geführt. Du
bist
die Auserkorene Königin. Noch nie war ich mir einer Sache so sicher – außer vielleicht meiner Liebe zu dir.”
Er hatte es kommen sehen. Am Ende ihrer Suche würde Maura eine bittere Enttäuschung erleben, und er würde da sein und sie trösten. Endlich würde sie ihm gehören.
Trotzdem wünschte er jetzt, der Wartende König wäre hier. Es war ihm egal, was das für ihn selbst bedeuten würde. Er wollte, dass sich Mauras Schicksal erfüllte.
“Aber sieh doch”, sagte sie mit einer hilflosen Geste. “Kein König weit und breit, den ich wecken könnte.”
“Vielleicht will er nur nicht erscheinen, bevor der Mond nicht genau an der richtigen Stelle steht”, meinte Rath. “Vielleicht gibt es hier irgendwo eine magische Trompete oder einen Gong, mit denen du ihn rufen musst.”
Maura nickte mutlos. “Vielleicht.”
“Was ist das da drüben?” Rath hob die Fackel und schob Maura zur Mitte der Lichtung hin. “Vielleicht gibt es uns einen Hinweis. Und denk daran, was du mir gesagt hast.”
“Ich habe eine Menge gesagt. Einiges davon war reiner Unsinn. Was meinst du?”
“Das war kein Unsinn”, versicherte Rath. “Du sagtest mir, dass in jedem Märchen ein Funken Wahrheit steckt. Vielleicht ist es auch so mit dem Wartenden König.”
“Vermutlich.” Maura ging auf etwas zu, das wie ein großer Baumstumpf aussah. “Doch wie sollen wir dieses Rätsel lösen?”
Rath betrachtete das Gebilde, das wie ein riesiger Kelch aussah. Es schien aus einem großen Baum geschnitzt worden zu sein, dessen Wurzeln immer noch in der Erde steckten. Vom Boden aus strebte ein schlanker Stiel nach oben, der eine weite Schale trug.
“Was, glaubst du, ist das?”
Maura betrachtete es näher. “Keine Ahnung. Keine von Langbards Geschichten erzählt von so etwas.”
Sie kniete nieder und betrachtete den Fuß des Riesenkelchs. Dann bat sie Rath, die Fackel etwas tiefer zu halten. “Hier ist eine Inschrift eingeschnitzt.”
Sie stöhnte.
“Was ist?”, fragte Rath besorgt.
“Es ist auf
Twara.
Ich spreche es wesentlich besser, als ich es lesen kann.”
Eine Weile murmelte sie vor sich hin.
“Nun?”, drängte Rath, als er das Warten nicht mehr ertragen konnte.
“Ich glaube, es heißt: 'Wenn du beim Licht des Sommermondes hier hineinschaust, erblicke den König, der erweckt wurde, und begegne deinem Schicksal'.” Sie erhob sich. “Ich vermute, dass irgendein Zaubertrank in dem Becken ist. Bitte, lösch die Fackel.” Sie beugte sich vor, um in die Schale zu schauen. “Die Inschrift sagt, dass man bei Mondlicht hineinsehen soll.”
“Nein!” Rath zog sie zurück. “Mir gefällt diese Sache nicht. Lass mich zuerst hineinblicken. Wenn mir nichts passiert, kannst du meinetwegen hineinsehen, so lange du willst.”
“Rath, es ist meine Suche – mein Schicksal. Vielleicht ist da drin etwas, das nur ich sehen kann.”
“Kann sein.” Als Rath sich nach einer Möglichkeit umsah, die
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