Die Prophezeiung
Gedanke, das Ende ihrer Gefangenschaft in diesem Moor könne sich nähern…, diesen Gedanken hatte sie lang in die Tiefe ihrer Seele verbannt. Zu oft waren die Elfen in den letzten 72 Jahren schon enttäuscht worden. Zuerst war Rianna gekommen – Sagobans Tochter – gut, aber schwach, dann Ziandra – deren Tochter – mit viel Kampfgeist, aber zu wenig Beherrschung und Interesse an der wahren Macht. Würde ihr Nachkomme die richtige Mischung aufweisen, Nozak und auch Karim zu trotzen? Denn die Gefahr, die von dem Prinzen ausging, lag für Yolofa ganz klar auf der Hand.
„Du bist nun müde und verwirrt, Zaramé. Geh nach Hause und ruh dich aus! Bewahre diese Seiten gut und das Geheimnis, welches in ihnen verborgen ist. Fallen sie dem König oder dem Prinzen in die Hände, ist dein Leben verwirkt! Traue ihnen nicht, auch Karim nicht, er ist mehr, als er scheint! Sirimi begleitet dich nach Hause. Wenn du Fragen hast, du kennst nun den Weg zu den Elfen. Ob ich dir alles beantworten kann, steht allerdings in den Sternen.“ Yolofa strich Zaramé sanft über das feuerrote Haar, dann winkte sie die Elfe, die Zaramé hergeführt hatte, herbei. „Nehmt den anderen Ausgang, durch das Schloss ist es jetzt zu gefährlich!“, befahl sie. Zaramé verneigte sich leicht vor der Königin, dann folgte sie Sirimi. Die Buchseiten drückte sie unter ihrem Umhang fest an sich. Diesmal folgten sie einem anderen Pfad durch den Sumpf, bis sie an eine Mauer gelangten. Zaramé hörte Wasser sprudeln und sah sich neugierig um. Als sie um eine Ecke bogen, schimmerte plötzlich das Licht einer Fackel vor ihnen und das Mädchen erkannte einen kleinen Teich an der Mauer, welcher Blasen warf. Sirimi zögerte keinen Moment, sie stieg in den Teich und winkte Zaramé ihr zu folgen. Diese stockte aus Angst die Seiten könnten Schaden nehmen. Aber dann erschien Sirimis Hand aus dem Teich und Zaramé erkannte erstaunt, dass das Wasser wohl nur eine Täuschung für die Augen war, unterstützt durch das plätschernde Geräusch. Es handelte sich vielmehr um einen Gang, der unter der Mauer verschwand. Zaramé ging vorsichtig hinein. Plötzlich wurde es dunkel und bereits im nächsten Moment stand sie draußen unter dem Sternenhimmel neben einem kleinen Brunnen mit einem Wasserspeier in Form einer Elfe! Direkt vor ihr ragten hoch die Mauern der Burg. Sirimi huschte voraus. Von dieser Stelle aus war es nicht weit zum Haus ihrer Eltern. Dennoch sah sich Zaramé verstohlen um. Sie wollte keinesfalls mit den Seiten erwischt werden!
Aufatmend erreichte sie endlich das Haus der Eltern. Sirimi winkte ihr noch kurz und verschwand, während Zaramé leise die Türe öffnete und sich ins Innere schlich. Sie wandte sich dem Feuer zu und erstarrte.
„Na, das wird ja mal eine interessante Erzählung werden, so spät, wie du kommst, mein Kind“, brummte Balin, der mit Moran und Niall vor dem Feuer saß und Zaramé interessiert musterte. Moran wirkte erschöpft und Niall lächelte ihr zu. Zaramé zog die Nase kraus und grinste vorsichtig: „Ihr werdet es nicht glauben, was ich euch erzähle, fürchte ich!“ Niall und Balin brachen in lautes Gelächter aus, selbst Moran musste lächeln.
„ Stimmt, denn du erzählst ja sonst immer so ganz Gewöhnliches. Außerdem vergisst du wohl die Kleinigkeit, wer uns über deine Verspätung informiert hat! Mutter saß mehr als zehn Minuten sprachlos auf der Bank, nachdem sie von dem silbernen Flaumball besucht worden war“, neckte sie Niall.
„Komm schon, erzähl! Wie war es bei deinen Elfen?“
Und Zaramé erzählte, bis ihr Kopf vor Müdigkeit schwer wurde und ihre Eltern sie ins Bett steckten. Niall nahm vorsichtig die wertvollen Seiten des Buches in die Hand und überlegte kurz. Nein, zuerst wollte er Zaramé fragen, dann erst würde er sie ansehen. Behutsam öffnete er das Versteck des Buches und schlug dieses vorsichtig auf. Nahtlos fügten sich die neuen an die bereits vorhandenen Seiten an, genau an der Stelle, an welcher sie so lange gefehlt hatten. Würden sie alle fehlenden Seiten finden? Und wenn, würde es ihnen weiterhelfen, den Feind zu besiegen und Elfen, Magaren und den Drachen zu befreien? Leise trat er hinaus unter den weiten Sternenhimmel. Als er empor sah, fühlte er sich plötzlich nicht mehr so unwichtig und schwach. Ja, sie würden es schaffen – Zaramé, die Erbin Melisins, der Zauberin, und er, Niall! Wann aber würde er endlich erfahren, woher er stammt und was seine Aufgabe ist!
Kapitel 5:
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