Die Prophezeiung
Da spürte Rianna, wie sie jemand aufhob und an sich drückte. Stolpernde Schritte brachten sie an die Felswand heran, in den Schutz einer hervorstehenden Kante. Rianna verlor das Bewusstsein.
Als sie erwachte, regnete es ganz ruhig, der Zorn des Zauberers und der Hexe waren gebannt. Wodurch war ihr nicht klar. Sie öffnete die schweren Augen und sah über sich den Felsüberhang. Dann wurde ihr bewusst, dass sie nicht auf kaltem Stein lag, sondern auf einer warmen, weichen Unterlage. Sie wandte den Kopf und sah das Gesicht eines schlafenden Mannes neben sich. Ganz ruhig atmete er, währenddessen er sie im Arm hielt. Lange braune Locken fielen über ein kantiges Gesicht mit scharfen Linien um Mund und Augen. Rianna versuchte sich aufzurichten, aber er erwachte bei der ersten Bewegung. Fürsorglich half er ihr aufzustehen. Schweigend standen sie sich gegenüber. Groß gewachsen war er, nicht so groß wie Seros natürlich. Beim Gedanken an das Vorgefallene wurde Rianna erneut blass und der Mann fasste nach ihrem Arm.
„Vorsicht, es geht Euch wohl noch nicht zu gut.“
Rianna vernahm eine sanfte Stimme, die gar nicht zu diesem Bären passen wollte und antwortete gebannt: „Es geht schon wieder, mein Herr. Seid bedankt für Eure Fürsorge.“
Hinter ihnen erscholl das krächzende Lachen der alten Hexe. Rianna schloss die Augen und wünschte sich weit weg von Azriel. Sie ertrug es nicht mehr. Der Mann sah die Alte abschätzend an: „Das ist wohl nicht Eure Mutter, will ich hoffen, meine Schöne?“
Rianna schüttelte den Kopf. „Nein, ich lerne von ihr die Wirkung der Heilpflanzen!“
„Hoffentlich nicht die der Giftpflanzen“, spöttelte der Mann. „Sie sieht nicht sehr freundlich aus, wenn ich Euch damit nicht zu nahetrete.“
Rianna lächelte nur müde. Azriel lachte leise, kein bisschen von der Grobheit des unwillkommenen Gastes beleidigt.
„Ich habe Seros gerade noch die zweite Möglichkeit genannt und schon ist sie da. Wir werden dein Wissen mit neuem Kampfgeist versehen müssen. Die nächste Generation vielleicht schon wird es sein…“, murmelte sie vor sich hin und winkte den beiden ihr zu folgen.
„Mein Name ist Ronan, ich bin ein wandernder Schmied und suche meine Arbeit an immer neuen Orten. “, wandte sich der Mann wieder Rianna zu und lächelte. „Falls Ihr der Alten überdrüssig seid, begleitet mich!“
Rianna sah ihn ruhig an. Sie wunderte sich über sich selbst! Eigentlich sollte sie erschrocken oder zumindest empört über diese Aufforderung sein. Aber sie war es nicht! Obgleich ihr der Mann als Person vollkommen fremd war, fühlte sie sich stark zu ihm hingezogen. In seinen blauen Augen las sie von Kraft und Treue, Fürsorge, aber auch Wut. Während sie noch überlegte, kreischte Azriel von der Hütte herüber: „Ja, geh nur! Bei mir kannst du nichts mehr lernen, deine Zeit hier ist vorüber! Wenn du nicht kämpfen kannst, dann lebe dein altes, sinnloses Leben weiter.“ Die Tür knallte zu und Rianna war, als wäre ihr eine schwere Last von den Schultern genommen worden. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie die letzten beiden Jahre nicht mehr geatmet, so leicht fiel es ihr nun. Der Schmied sah sie an, nun ganz ernst: „Vertraust du mir, Mädchen?“
Rianna zögerte keinen Moment, sie legte ihre Hand in die Pranke Ronans. „Ich heiße Rianna und ich vertraue dir!“ Und von diesem Tag an verlor sich Azriels Macht über Rianna. Sie und Ronan zogen in die Hauptstadt Madredas und heirateten. Ronan fand dort Arbeit und Rianna half vielen, auch noch nach Geburt ihrer Tochter Ziandra.
Zaramé sah benommen auf und stellte erschrocken fest, dass die Dämmerung über dem Elfental in Dunkelheit übergegangen war. Wie lange hatte sie hier gesessen und gelesen? Die Elfenkönigin Yolofa sah sie abschätzend an. Würde dieses Mädchen tatsächlich die Rettung der Elfen sein? Vieles sprach dafür: Das enorme Wissen, welches Zaramé bereits jetzt mit 15 Jahren aufwies. Ihr Kampfgeist, ihr Gerechtigkeitsempfinden und nicht zuletzt die Tatsache, dass sie Kräfte besaß, die normalerweise keinem Sterblichen zu Eigen sind. Übersinnliches fand man bei den Elfen und auch bei den Schatten, aber niemals bei Menschen! Und dann war da noch ihr „Bruder“! Niall, der neben Kraft und Klugheit eine Autorität ausstrahlte, wie oft kampferfahrene, ältere Männer nicht! War er der Erbe Sagobans? Yolofa nahm sich vor, Seros baldmöglichst zu befragen. Sie spürte, wie ihr Herz leichter wurde. Der
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