Die Prophezeiung
sich nicht sicher, ob du oder das Kind diejenige ist, die das Schicksal wenden kann!“ Ziandra dachte lange noch darüber nach, während Iannis nach einem arbeitsreichen Tag bereits eingeschlafen war. Was konnte sie oder das Kind bewirken? Nicht einmal Seros, seinem Drachen und den mächtigen Magarenkämpfern war es gelungen Razak zu besiegen. Außerdem würde es vielleicht gar kein Mädchen sein, dann würde die Vorhersage sowieso nicht wahr werden. Das Reich Madredas lag am Boden – schwach und bezwungen. Erimalia stöhnte unter Razaks Herrschaft, konnte sich aber nicht gegen ihn erheben. Zu eng war der Würgegriff, mit dem Razak herrschte! Ziandra dachte verzweifelt: „Alle zusammen – gleichzeitig! Das ist unsere einzige Chance. Aber wie soll man so etwas organisieren, ohne dass der Tyrann es merkt und gleich im Keim erstickt?“
Vielleicht muss te doch noch jemand anderes kommen, der stärker und klüger wäre, mehr Verbündete aufweisen konnte und vielleicht wäre Razak in der Zwischenzeit bereits alt und gebrechlich? Aber dann wäre da noch Nozak, der seinem Vater so sehr glich, auch wenn er noch nicht durch die gleiche Grausamkeit bekannt geworden war, wie dieser. Im Kampf hatte er sich bereits hervorgetan. Wer würde diesen beiden entgegentreten können?
Kapitel 8: Die Geburt der Hexe
Spät i n dieser Nacht wurde Ziandra durch ein schmerzhaftes Ziehen im Rücken wach und es dauerte nur wenige Stunden, bis sie ein kleines Mädchen zur Welt brachte. Als sich alle an ihm satt gesehen hatten, trat Azriel an Ziandras Seite und nahm das Kind behutsam auf den Arm. Die frischgebackenen Eltern waren misstrauisch und ließen sie nicht aus den Augen. Dann lachte Azriel laut auf, das Kind erschrak nicht. Es sah die Alte beinahe abschätzend an. Als Iannis näher trat, zuckte er zusammen. Das kleine Mädchen hatte glühend rote Augen.
„ Das kann doch nicht wahr sein“, dachte er entsetzt. Ziandra sah ihm an, dass etwas nicht in Ordnung war. „Iannis, Liebster. Was ist denn nur mit dir? Ist mit der Kleinen etwas nicht in Ordnung?“, fragte sie nervös und richtete sich auf. Azriel legte ihr das Kind wieder in den Arm und lächelte glücklich.
„Ruh d ich aus, Ziandra. Du hast es geschafft, wir alle können uns freuen, die Prophezeiung wird wahr werden! Dieses Kind ist die Hexe, die uns von Razak befreien wird. Sie wird mächtiger sein als ich, mildtätiger und belesener als deine Mutter, kämpferischer als du und klüger als dein Gatte. Sie ist die wahre Nachfahrin von Melisin, der Hexe mit der Macht über die Heilkräfte der Natur und das Elfenreich!“
Azriel hatte ihre Stimme nicht erhoben, aber ein Donnern war in der Hütte zu hören, als tobte ein Sturm. Ziandra drückte das Kind an sich und wollte der Alten gerade über den Mund fahren, als sie Iannis ‘ Blick spürte.
„Was?“, empörte sie sich, als sei sie von ihm zum Schweigen verdammt worden. Iannis war bleich, aber er lächelte bedauernd. Dann strich er dem Kind über den roten Flaum, der bereits zu sprießen begann.
„Sie hat leider Recht! Sieh‘ sie dir mal genauer an!“, bat er seine Frau. Ziandra gehorchte wie gelähmt und auch sie sah den Wechsel der Augenfarbe von rot glühend zu goldbraun und wieder zurück, als könne sich das Neugeborene nicht entscheiden. Dann wurde ein sanft leuchtendes Goldbraun daraus. Aber die Intensität des Blicks, die Intelligenz, die daraus sprach, hatte nichts mit dem verträumten, unklaren Blick eines gewöhnlichen Säuglings gemein. Ziandra gab auf. Azriel hatte Recht, aber die junge Mutter begann sich vor der Zukunft zu fürchten. Und Furcht war ein Gefühl, welches sie bis jetzt nicht kennengelernt hatte. Ziandra wusste, sie würde lernen müssen damit zurecht zu kommen. Denn bis ihre Tochter alt genug wäre, würde noch viele Male die Sonne über Erimalia und Madredas aufgehen und vielen Menschen würde bis dahin weiterhin Unrecht geschehen.
Am übernächsten Morgen – Ziandra fühlte sich bereits wieder erholt genug, um aufzustehen – trat sie alleine vor die Tür und genoss das Aufgehen der Sonne über dem nahen Wald. Zartes Rotgold erhellte den blässlichen Himmel und eine Vielzahl von Vogelstimmen begrüßte den neuen Tag. Nachdenklich setzte sie sich auf die moosbewachsene Erde und lehnte den Rücken an die Hüttenwand. Hinter ihr öffnete sich die Türe erneut und Azriel trat zu ihr. Sie trug ein schweres Buch unter dem Arm. Ehrfurchtsvoll reichte sie es der jungen Mutter. Dann ging
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