Die Prophezeiung
verletzt.
„ Ikaron, bei allen Göttern, was ist geschehen? Kommt herein!“, rief Ziandras Mann erregt. Ikaron nickte erschöpft, trat aber zuerst zum Pferd seiner Gemahlin, um ihr beim Abstieg zu helfen. Ihr Name war Sialin und der des Knaben Leandor, erfuhr Ziandra, als sie einander vorgestellt wurden. Sialin sprach einige Zeit nicht, bis sie sich von ihrer Erschöpfung erholt hatte und Leandor fiel sofort in tiefen Schlaf. Ikaron hingegen blieb noch lange mit seinem Bruder und Ronan am Feuer sitzen, während die Frauen bereits zu Bett gegangen waren.
Als Iannis später sich müde an Ziandra schmiegte, fragte sie schläfrig: „Was ist Ikaron und seiner Familie widerfahren, Iannis, sie sehen unglaublich erschöpft aus!“ Und mit seiner Antwort wurde sie schlagartig wach.
„Sie wurden verfolgt, von Razaks Leuten!“ Ziandra richtete sich auf und sah ihn entsetzt an. „O nein, warum denn? Er ist doch ein Dichter, kein Widerstandskämpfer!“
„Er kämpft mit Worten, das bewirkt oft mehr, Ziandra. Er hat ein Gedicht verfasst – das „Drachentagegedicht“ – und es erzählt die Geschichte deiner Eltern und deiner Großeltern und damit auch zugleich, wie Razak den Thron an sich gebracht hat! Das Gedicht erfreut sich bei allen Feinden Razaks großer Beliebtheit und jedes Kind in Kaligor lernt es begierig auswendig. Nun ist es Razak zu viel geworden. Er hat Ikaron verhaftet, aber einige seiner Freunde haben ihn befreit und dabei ihr Leben gelassen!“ Keiner von beiden sagte laut, was er befürchtete. Ikaron hatte möglicherweise die Verfolger zu ihnen geführt!
Am nächsten Morgen beschlossen sie für diesen Fall vorzusorgen. Die Frauen packten notwendige Dinge und Lebensmittel in Packtaschen für die Sättel. Von den Männern hielt immer einer, auch Leandor, Ausschau vom nahen Hügel nach erimalischen Soldaten. Tagelang geschah nichts und gerade, als sie zu hoffen begannen, dass Ikarons Versteck unbemerkt geblieben wäre, kamen sie! Eine große Staubwolke kündigte sie an!
„Sie wissen, dass nicht nur Ikaron hier ist“, stieß Iannis zwischen den Zähnen hervor, während er die Satteltaschen festzurrte und Ziandra das Baby hinaufreichte. Zaramé wurde vor Ziandras Brust in einem Tragetuch festgebunden, was Ziandra einigermaßen unbehelligt reiten ließ. Ziandra wusste allerdings, dass Kämpfen damit ausgeschlossen war und der Gedanke, ihrem Mann nicht beistehen zu können, bedrückte sie sehr. Aber die Sicherheit Zaramés ging vor! Das Buch, in welchem Ziandra viel geschrieben und auch gezeichnet hatte, steckte Ronan vorsichtig in die Satteltaschen von Riannas Pferd. Als alle im Sattel saßen, ging es sofort los, es war keine Zeit zu verlieren. Sie preschten durch den Wald, mit wenig Rücksicht auf Wurzeln und Äste. Nicht nur Leandor und Sialin, auch Azriel hielten gut mit. Aber die Verfolger ließen nicht locker. Iannis überlegte fieberhaft, was helfen könnte.
Da schrie Ikaron verzweifelt: „Iannis, ich kehre um! Sie wollen mich, flieht weiter! Ich halte sie auf!“
Sialin kreischte entsetzt auf: „Nein, Ikaron, sie werden dich töten, reite weiter!“
Auch Iannis schüttelte den Kopf und packte die Zügel des Pferdes sei nes Bruders. „Das hilft nicht mehr, Ikaron! Sie wissen, wer wir sind – sie wollen uns alle. Wir bleiben zusammen, bis es nicht mehr geht, dann reiten die Frauen weiter und wir kämpfen!“
Ziandra fühlte , wie es in ihr eiskalt wurde. Nein, niemals würde sie Iannis zurücklassen. Sie überlegte fieberhaft, dann traf ihr Blick auf den Azriels. Ja, nun wusste sie, was zu tun war! Zaramé musste leben!
Als es zu dunkel wurde , um weiterzureiten, überquerten sie einen Fluss und machten auf der anderen Uferseite eine kurze Rast. Ziandra versorgte mit Tränen in den Augen ihr kleines Mädchen. Dann ging sie hinüber zu Azriel und sprach leise auf die Alte ein. Rianna sah ihnen misstrauisch zu. „Was hast du, Liebes?“, fragte Ronan sie leise.
„Ich traue Azriel nicht! W as hat Ziandra nur vor? Hoffentlich nimmt ihr die Alte nicht plötzlich das Kind weg und verschwindet damit in Gestalt einer Krähe oder Ähnlichem!“ Ronan lachte leise, dann stutzte er und sah auch hinüber. An diesem Gedanken war zuviel dran, um ihn ganz aus dem Sinn zu tilgen. Aber nein, seine Tochter band sich gerade das Bündel wieder um und die Alte schien ihre Sachen zusammenzusuchen. Dann begannen sie hintereinander weiterzugehen, ihre Pferde führend, denn reiten wäre zu gefährlich gewesen.
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