Die Prophezeiungen von Celestine
um ein altes Lagerhaus, und aus irgendeinem Grund entschied ich, es mir von innen anzusehen. Hinter einem Haufen Gerumpel versteckt und durch ein loses Brett in der Wand verdeckt, fand ich die Übersetzungen der Ersten und der Zweiten Erkenntnis.«
Er sah mich wissend an.
»Sie lagen dort einfach herum?«
»Ja.«
»Haben Sie das Manuskript zufällig bei sich?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich beschloß, es gründlich zu studieren und es dann einigen meiner Kollegen zu überlassen.«
»Würden Sie sich in der Lage sehen, mir eine Zusammenfassung der Zweiten Erkenntnis zu geben?«
fragte ich.
Es entstand eine ausgedehnte Pause, dann lächelte Dobson und nickte. »Ich schätze, deshalb sind wir hier.
Die Zweite Erkenntnis«, so fuhr er fort, »setzt unseren augenblicklichen Bewußtseinszustand in eine größere historische Perspektive. Am Ende dieser Dekade werden wir nicht nur das zwanzigste Jahrhundert beendet haben, sondern auch eine tausendjährige Geschichte. Wir sind dabei, das zweite Jahrtausend abzuschließen. Bevor der Westen seinen Standpunkt begreifen kann und versteht, was als
nächstes passieren wird, müssen wir verstehen lernen, was in den vergangenen tausend Jahren wirklich geschehen ist.«
»Was genau steht diesbezüglich im Manuskript?«
»Dort steht, daß wir gegen Ende des zweiten Jahrtausends - also jetzt - in der Lage sein werden, unsere gesamte Geschichte als Ganzes zu begreifen. Es steht dort auch, daß wir in der zweiten Hälfte unseres Jahrtausends, also im sogenannten modernen
Zeitalter, eine bestimmte Befangenheit erkennen werden. Unser Bewußtsein über die heutzutage so häufig auftretenden Schicksalsfügungen ist ein Zeichen für die Befreiung von dieser Befangenheit.«
»Worin besteht diese Befangenheit?« fragte ich.
Er grinste beinahe schelmisch. »Sind Sie bereit, das Jahrtausend noch einmal zu durchleben?«
»Sicher, schießen Sie los.«
»Es wird nicht ausreichen, wenn ich Ihnen davon lediglich erzähle. Erinnern Sie sich daran, was ich vorhin sagte, daß man lernen muß zu verstehen, wie sich die alltägliche Weltsicht entwickelt hat, wie sie durch die Realität der Menschen, die vor uns lebten, kreiert wurde? Es hat tausend Jahre gebraucht, unseren modernen Standpunkt zu entwickeln, und um zu verstehen, wo genau wir heute stehen, müßten Sie sich eigentlich ins Jahr 1000 zurückversetzen und dann von dort durch das gesamte Jahrtausend
schreiten. Ganz so, als ob Sie diesen Zeitabschnitt tatsächlich im Laufe eines Lebens durchlebt hätten.«
»Und wie soll das funktionieren?«
»Ich werde Sie führen.«
Einen Augenblick zögerte ich und starrte aus dem Fenster auf die Landschaftsformationen unter mir.
Der Faktor Zeit hatte bereits begonnen, eine andere Rolle zu spielen.
»Ich werde mir Mühe geben«, sagte ich schließlich.
»Okay, stellen Sie sich vor, im Jahr 1000 zu leben.
In einer Zeit, die wir das Mittelalter nennen. Das erste, was Sie sich vergegenwärtigen müssen, ist der enorme Einfluß der christlichen Kirche und ihrer mächtigen Vertreter auf die Wahrnehmung der Realität dieser Zeit. Begünstigt durch ihre Position, hatten diese Männer einen gewaltigen Einfluß darauf, was die Bevölkerung dachte. Und die Welt, die diese Kleriker als Realität vorgaben, war vor allen anderen Dingen eine spirituelle. Sie kreierten eine Wirklichkeit, die ihre Auffassung von Gottes Vorhersehung für die Menschheit ins Zentrum des damaligen Le bens rückte.
Versuchen Sie, sich dies genau vorzustellen«, fuhr er fort. »Sie werden in den Stand Ihres Vaters geboren
- entweder Bauer oder Aristokrat -, und Sie leben in der Gewißheit, daß Sie für immer auf Ihren
angeborenen Stand beschränkt sein werden. Vollkommen unabhängig von Ihrer Standeszugehörigkeit oder davon, welcher Tätigkeit Sie nachgehen, werden Sie bald bemerken, daß Ihre soziale Stellung im Vergleich zu der von den Klerikern definierten spirituellen Realität nur sekundär ist.
Sie entdecken, daß es im Leben scheinbar darum geht, eine Art spirituellen Test zu absolvieren. Die Kleriker behaupten, daß Gott die Menschheit aus einem einzigen Grund zum Mittelpunkt des gesamten Universums gemacht habe: um entweder Erlösung zu erreichen oder aber verdammt zu werden. Und in diesem Prozeß müssen Sie die korrekte Wahl
zwischen zwei sich diametral gegenüberstehenden Kräften treffen: der göttlichen Kraft und den heim-tückischen Versuchungen des Teufels.
Aber denken Sie daran, daß nicht Sie
Weitere Kostenlose Bücher