Die Prophezeiungen von Celestine
Kopf bewegung, ihn bei seinem Spaziergang an der Mauer entlang zu
begleiten. Während wir gingen, bückte Pablo sich mehrere Male, um Blumen zu pflücken, die in kleinen Beeten an der Mauer wuchsen.
»Was sagt die Siebte Erkenntnis sonst noch?«
fragte ich.
Er bückte sich erneut und pflückte eine Blume.
»Sie sagt, daß wir nicht nur von Träumen geleitet werden, sondern auch von Gedanken und Tagträumen.«
»Ja, Pater Carl behauptete das auch. Erklär mir, wie Tagträume funktionieren.«
»Durch sie sind wir in der Lage, Szenen oder Ereig nisse zu sehen, die sich tatsächlich ereignen können.
Wenn wir aufmerksam genug sind, können wir uns durch sie auf eine Wendung in unserem Leben vorbereiten.«
Ich sah ihn an. »Weißt du, Pablo, ich hatte eine Eingebung, nach der ich Marjorie wiedersehen würde
- und es hat gestimmt.«
Er lächelte.
Ein Schauer lief meinen Rücken hinab. Ich mußte tatsächlich am richtigen Ort sein. Ich hatte eine Ahnung von etwas gehabt, was wenig später tatsächlich genau so eingetroffen war. Eine Fügung hatte sich ereignet, und ich fühlte mich erleichtert.
»Häufig habe ich solche Ahnungen nicht gerade«, sagte ich.
Schüchtern blickte Pablo in die andere Richtung.
»Der Siebten Erkenntnis nach haben wir sie wesentlich häufiger, als wir annehmen. Um sie zu erkennen, müssen wir jedoch lernen, die Position eines Beobachters zu beziehen. Und taucht ein Gedanke auf, müssen wir fragen, warum er das tut und warum gerade jetzt? In welcher Beziehung steht er zu der Problematik unseres Lebens? Die Position des Beobachters hilft uns dabei, das Bedürfnis nach völliger Kontrolle aufzugeben. Sie bringt uns in Verbindung mit dem Fluß unserer Entwicklung.«
»Aber was ist mit den negativen Gedanken?« fragte ich. »Der Furcht davor, daß etwas Schreckliches geschehen wird, jemand, der uns nahesteht, verletzt werden könnte, oder wir nicht erreichen, was wir uns vorgenommen haben?«
»Ganz einfach«, sagte Pablo. »Die Siebte Erkenntnis sagt, daß Bilder der Angst bei ihrem Auftauchen angehalten und durch etwas Positives ersetzt werden.
Daraufhin wird es bald so gut wie keine negativen Bilder oder Gedanken mehr geben. Du wirst nur mehr Ahnungen von positiven Ereignissen haben.
Sollten negative Bilder auftauchen, dann rät das Manuskript, sie unbedingt ernst zu nehmen, sie je doch nicht weiterzuverfolgen. Wenn du zum Beispiel ein Bild davon hast, wie du in einem Lastwagen
verunglückst, und jemand bietet dir an, in seinem Wagen mitzufahren, so lehne das Angebot ab.«
Wir waren jetzt einmal um den Hof gegangen und näherten uns wieder dem Wachmann. Keiner von uns sprach, als wir ihn passierten. Pablo pflückte eine Blume, und ich atmete tief durch. Die Luft war warm und feucht, und das Pflanzenleben auf der anderen Seite der Mauer war üppig und tropisch. Ich hatte bereits mehrere Moskitos bemerkt.
»Kommt!« rief der Soldat plötzlich.
Er stieß uns ins Innere des Gebäudes und hinunter zu unserer Zelle. Pablo betrat sie vor mir, doch der Soldat versperrte mir mit ausgestrecktem Arm den Weg.
»Du nicht«, sagte er und machte eine Kopfbewegung in Richtung Flur. Wir nahmen die gleichen Stufen, die uns in der Nacht zuvor in das Gebäude geführt hatten. Auf dem Parkplatz stieg Kardinal Sebastian auf den Rücksitz eines großen Wagens. Ein Fahrer schloß die Tür hinter ihm. Einen Moment lang sah der Kardinal mich wieder an, dann wandte er sich ab und sagte etwas zu seinem Fahrer. Der Wagen fuhr mit hoher Geschwindigkeit davon.
Der Soldat schubste mich unsanft vor das Ge bäude.
Wir gingen hinein und betraten ein Büro. Er wies mich an, auf einem Holzstuhl vor einem weißen Eisenschreibtisch Platz zu nehmen. Innerhalb kürzester Zeit tauchte ein etwa dreißigjähriger kleiner Priester mit sandfarbenem Haar auf und setzte sich an den Schreibtisch, ohne meine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Für die Dauer einer vollen Minute blätterte er durch eine Akte und sah mich dann an. Seine runde goldgefaßte Brille verlieh ihm den Anstrich eines Intellektuellen.
»Sie sind im Besitz illegaler Dokumente verhaftet worden«, sagte er mit bestimmter, sachlicher Stimme.
»Ich bin hier, um festzustellen, ob eine weitere Verfolgung der Angelegenheit nötig ist. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mit mir zusammenarbeiten würden.«
Ich nickte.
»Woher haben Sie die Übersetzungen?«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte ich. »Was soll an Kopien eines alten Manuskriptes illegal
Weitere Kostenlose Bücher