Die Prophezeiungen von Celestine
sein?«
»Die Regierung von Peru hat ihre Gründe«, sagte er. »Bitte beantworten Sie meine Frage.«
»Warum mischt sich die Kirche ein?« fragte ich.
»Weil dieses Manuskript im Widerspruch zu den Traditionen unserer Religion steht«, sagte er. »Es verfälscht die Wahrheit unserer geistigen Natur. Wo...«
»Hören Sie«, unterbrach ich ihn. »Ich möchte nur sicherstellen, daß ich auch alles richtig verstehe. Ich bin ein harmloser Tourist, der sich zufällig für dieses Manuskript interessiert hat. Ich stelle für niemanden eine Bedrohung dar. Ich möchte nur wissen, was an der Schrift so gefährlich sein soll.«
Er blickte verwirrt drein, als sei er sich nicht schlüssig darüber, was für eine Taktik er bei mir an-wenden solle. Bewußt versuchte ich, Einzelheiten aus ihm herauszuholen.
»Die Kirche ist der Ansicht, daß dieses Manuskript zu Verwirrung unter den Leuten führt«, sagte er vorsichtig. »Sie könnten den Eindruck gewinnen, daß der Mensch selbst in der Lage ist zu entscheiden, wie er zu leben hat, ohne die Gebote zu beachten.«
»Welche Gebote?«
»Das Gebot, Vater und Mutter zu ehren, zum Beispiel.«
»In welchem Zusammenhang steht das mit dem
Manuskript?«
»Das Manuskript macht die Eltern für einige der Probleme verantwortlich und untergräbt damit die Institution der Familie.«
»Ich hatte eher den Eindruck, es sprach von der Beendigung bestehender Ressentiments«, sagte ich
»Und davon, einen neuen, positiven Blick auf unser früheres Leben zu werfen.«
»Nein«, sagte er. »Diese Darstellung ist irreführend Von Anfang an hätte es keinerlei negative Gefühle oder Ressentiments geben dürfen.«
»Haben Eltern nicht das Recht, Fehler zu machen?«
»Eltern tun ihr Bestes. Ihre Kinder müssen ihnen vergeben.«
»Aber ist nicht genau davon im Manuskript die Rede? Kann man nicht erst dann vergeben, wenn man auch das Positive an seiner Kindheit erkennt?«
Vor Ärger schwoll seine Stimme an. »Wodurch ist dieses Manuskript denn befugt, derartige Aussagen zu treffen? Weshalb sollten wir ihm Glauben schenken?«
Er erhob sich, ging um seinen Schreibtisch herum und starrte verärgert auf mich hinab. »Sie wissen nicht, wovon Sie reden«, sagte er. »Studieren Sie Theologie? Ich bezweifle es. Sie sind der direkte Beweis für die Verwirrung, die dieses Manuskript anrichtet. Verstehen Sie denn nicht, daß auf dieser Welt lediglich deshalb Ordnung herrscht, weil wir Gesetze und eine Obrigkeit haben? Wie können Sie es wagen, die Obrigkeit in dieser Sache anzugreifen?«
Ich antwortete nicht, was ihn noch mehr aufzuregen schien. »Ich werde Ihnen etwas sagen«, hob er wieder an, »Ihr Vergehen wird in diesem Land mit mehreren Jahren Gefängnis geahndet. Waren Sie jemals in einem peruanischen Gefängnis? Reicht
Ihre Yankee-Neugierde aus, herausfinden zu wollen, wie es dort zugeht? Das kann ich problemlos arran-gieren. Verstehen Sie mich? Problemlos!«
Er legte seine Hand über die Augen, verschnaufte und atmete tief ein; offenbar war er bemüht, sich ab-zuregen. »Ich möchte herausbekommen, wer alles Kopien hat und woher sie stammen. Ich frage Sie ein letztes Mal: Woher stammt Ihre Übersetzung?«
Sein Wutausbruch hatte eine Welle der Unruhe in mir ausgelöst. Durch die Fragerei hatte ich meine Situation nur verschlechtert. Was, wenn ich eine Zusammenarbeit verweigern würde? Ich konnte doch nicht Pater Sanchez und Pater Carl verraten?
»Ich brauche ein wenig Bedenkzeit, bevor ich Ihnen eine Antwort geben kann«, sagte ich.
Einen Augenblick lang sah er aus, als stehe er kurz vor einem weiteren Wutausbruch. Dann entspannte er sich und wirkte mit einem Mal sehr müde.
»Ich gebe Ihnen bis morgen früh Bedenkzeit«, sagte er und wies den Soldaten an der Tür an, mich abzuführen. Ich ging mit dem Soldaten den Hur hinab, direkt in meine Zelle.
Ohne ein Wort zu sagen, ließ ich mich erschöpft auf meine Pritsche fallen. Pablo starrte aus dem ver-gitterten Fenster.
»Hast du mit Kardinal Sebastian gesprochen?«
fragte er.
»Nein, es war ein anderer Priester. Er wollte wissen, woher meine Kopien stammen.«
»Was hast du gesagt?«
»Nichts. Ich bat mir Bedenkzeit aus, und er hat sie mir bis morgen früh gewährt.«
»Hat er etwas wegen des Manuskriptes gesagt?«
fragte Pablo.
Ich sah Pablo in die Augen, doch diesmal senkte er seinen Kopf nicht. »Er hat kurz darüber gesprochen, wie das Manuskript die bestehende Autorität untergräbt«, sagte ich. »Dann fing er an zu lamentieren
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