Die Pubertistin - eine Herausforderung
bei der Pubertistin – sie traut uns offenbar eine Menge zu. War nur Spaß, beruhigen wir sie, wir mögen’s lieber öd wie immer, weißt du doch.
Nein, alles, was die Pubertistin braucht, sind Toast, Ketchup, Kochschinken und Fabrikkäse. Mit diesen hochwertigen Zutaten nämlich kann sie endlich selbst kochen: das herrlichste Sandwich, das man sich denken kann. Toast, Ketchup, Schinken, Käse, steht jetzt ständig in ihrer schiefen Schrift auf dem Einkaufszettel. Das Glück aus vier Zutaten.
Der Vater und ich vermuten zuerst eine neue, besonders raffinierte Widerstandsstrategie und warten auf ihr Ultimatum, bei dem sie uns ihre Forderungen unterbreiten wird. Aber da kommt nichts. Toast, Ketchup, Schinken, Käse sind alles, was sie will. Denn dank eines neuen wunderbaren Sandwichtoasters, den ihr die Tante zu Weihnachten geschenkt hat, bedarf sie nicht länger der Kochkünste des Vaters. Sie entert einfach zu unvorhersehbaren Zeiten die Küche, schmeißt ihre Industrienahrungsmittel in den weißen Kasten, und keine fünf Minuten später krümelt sie mit ihrem Sandwich die Couch voll. Wenn wir anderen uns später an den Tisch setzen, stochert sie nur noch im Abendessen herum und macht spitze Bemerkungen darüber, was für unglaublich riesige und ungesunde Mengen wir in uns reinstopfen würden. Na danke schön, sagen wirdann und versuchen, es uns trotzdem schmecken zu lassen.
Tag für Tag geht das so, und nach drei Sandwichwochen ist der Vater ernsthaft beleidigt. Seit sie auf dieser schönen Erde angekommen ist, bemüht er sich um die kulinarische Menschwerdung seiner Tochter. Er füttert sie mit allen ihm zur Verfügung stehenden Köstlichkeiten. Er schleppt aus der Hauptstadt Biolebensmittel ins Discounter-Land am Stadtrand. Er fährt über die Dörfer, um Fleisch von Schweinen zu kaufen, die vom Bauern bei ihrem Vornamen angesprochen wurden. Er wälzt Kochbücher, probiert mannigfaltige Gerichte aus, verbrennt und schneidet sich die Finger beim Kochen und Backen, um abends, wenn alle zu Hause sind, dampfende Schüsseln und Platten mit gutem Essen auf den Tisch zu stellen und sich daran zu erfreuen, wie wir es uns schmecken lassen.
Bis Toast, Ketchup, Kochschinken und Käse sie auf Abwege geführt haben, hat es auch der Pubertistin gemundet. Gott sei Dank! Es hat lange gedauert, bis es so weit war. Als Kleinkind war die Pubertistin sehr, sehr dünn. So dünn, dass die Omas und dieOpas manchmal misstrauisch nachfragten, ob sie bei uns auch genug zu essen kriegen würde. Der Grund für die Spillerigkeit des Kindes war klar: Sie war unglaublich mäklig. Ist das etwa Gemüüüüüüüüße?, fragte sie leicht lispelnd und deutete angewidert auf den Eintopf. Daß ßind ja Piiiiiiiilße!, jaulte sie beim Anblick des Omeletts. Als sie mit fünf Jahren begriff, dass Fischstäbchen Spuren von Fiiiiisch enthalten und Eier von Hüüüüühnern stammen, war der Vater am Ende mit seinem Latein. Es gab Tränen bei Tisch, und ich schloss bei diesen Gelegenheiten besser die Fenster – die Nachbarn mussten wirklich nicht mitkriegen, dass bei uns nicht nur die Kinder weinen.
Als sich der Streit wieder einmal so zugespitzt hatte, dass der Vater wutschnaubend den Raum verließ, um Tätlichkeiten zu vermeiden, besannen wir uns demokratischer Gepflogenheiten und erarbeiteten einen Vertrag, den wir den Kindern zur Unterschrift vorlegten. Das Papier regelte Rechte und Pflichten der Familienmitglieder bei Tisch. Paragraph 1 lautete: Jedes Gericht wird wenigstens gekostet. Paragraph 2: Der Koch wird nicht beleidigt, weder mit Worten noch mit Blicken, Würgegeräuschen oder despektierlichen Bemerkungen. Die Gegenleistungfür unterlassenes Mäkeln regelte Paragraph 3: Der Koch stellt zuverlässig Nachtisch bereit.
In den Durchführungsbestimmungen regelten wir die kleinen Schlupflöcher, die diesen Vertrag erst zustimmungsfähig machen würden. Jedes Familienmitglied durfte sich ein Gericht aussuchen, das es verabscheut. An Tagen, an denen dieses Essen zubereitet wird, hatten die Betroffenen Anspruch auf ein Alternativessen. Die Pubertistin wählte Pilze, ich Nudelsuppe mit Huhn, die Schwester war clever. Sie schrieb FLEISCH in die entsprechende Zeile, was zur Folge hatte, dass wir, die Familie dieser engagierten Tierfreundin, nur noch einmal pro Woche totes Tier zu uns nahmen. Nur der Vater hatte keinen Sonderwunsch, er aß und isst alles gern.
Der Vertrag bewirkte Enormes. Plötzlich waren wir eine ganz
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