Die Pubertistin - eine Herausforderung
das Poster einer vielversprechenden kanadischen Jungelfe zu studieren, die im Radio, im Musikfernsehen und in den einschlägigen Jugendpostillen eine stilprägende Rolle zu spielen scheint. Strengen, kajalumrandeten Blickes schaut diese Kindfrau von der Wand aus meiner Tochter beim Vokabellernen zu, den Blick lediglich getrübt von einer umfassenden Sammlung Edelstahl in ihren Brauen. Genau das will die Pubertistin sich jetzt auch in ihre unversehrte Haut rammen lassen. Aber meinen Segenkriegt sie nicht – und den braucht sie in diesem Land nun mal.
Die Pubertistin hatte Zeit, meine barsche Abfuhr zu verwinden und reitet jetzt die nächste Attacke. Hallo!?, raunzt sie in den Hörer, das ist immer noch mein Körper. Das mag sein, liebes Kind, sage ich, aber um den zu beschädigen, wirst du warten müssen, bis du achtzehn bist. Und so lange bestimme ich, was du mit ihm anstellst. Manno!, jault sie jetzt, alle haben eins! Elektra und ihre Mutter haben sich sogar zusammen ein Nabelpiercing machen lassen! Diese Information allerdings ist ein Kracher. Ich hab’ mir ja immer gedacht, dass im hauptstädtischen Bereich Körperliches anders verhandelt wird, weltstädtischer eben. Mag auch sein, dass meine Jahre in der Provinz aus mir eine verkniffene Spießerin geformt haben, die nie den Wunsch verspürt hat, mit ihren Kindern Klamotten zu tauschen. Aber Mutter und Tochter zusammen im Piercingstudio? Wie läuft so was ab? Na, worauf hast du Bock? – Och, ich glaub, ich lass mir den Totenkopf stechen ... – Dann nehme ich diesen langen Nagel mit der vergoldeten Spitze, sieht krass aus, und dein Vater findet’s bestimmt auch geil ...
Ehrlich gesagt, ich möchte gar nicht die beste Freundin der Pubertistin sein. Wäre dem so – was käme nach dem Paarpiercing? Gemeinsame Drogenexzesse? Intimrasurtipps? Chatten statt reden? Nein, ich muss über ihren unsittlichen Antrag auf Selbstverletzung wirklich keine Sekunde nachdenken. Piercing – nein. Haarefärben – na gut. Tattoo – auf gar keinen Fall.
Es ist ja nicht so, dass ich nicht wüsste, worüber wir hier reden. Auch der Vater und ich haben einst über eine dauerhafte Körper verzierung nachgedacht. Das war in Kalifornien, Venice Beach, wo Mitte der Neunzigerjahre hunderte Körperfetischisten die irrwitzigsten Tätowierungen spazieren führten. Wir zwei spätjugendlichen Europäer, die wir damals noch waren, diskutierten vor dem Schaufenster eines Tattooshops ernsthaft die Manifestierung einer Rose auf meinem Oberarm. Nur die anstehende Weiterreise machte diesen übermütigen Plan zunichte.
Hätte ich damals diesen Laden betreten und mir das Tattoo verpassen lassen, sähe diese Rose heute eher aus, als habe sie jemand aus einem Trockenblumenstrauß gezogen. Denn machen wir uns nichtsvor: Die letzten anderthalb Dekaden haben für meinen Körper keine Ausnahmeregelung erlassen. Ich bin ein ganzes Stück gealtert, und aus meinen Oberarmen ist das geworden, was perfide Sportinstruktoren Winkarme nennen. Die grüßen nämlich zurück, wenn ich mir im Spiegel zuwinke. Es fehlt nicht viel, und die Fitnessindustrie wird mir zu verstehen geben, dass mein Hintern mir etwas sagen möchte. Bis dahin aber bin ich einfach nur froh, in Kalifornien jenen schwachen Moment unverletzt überstanden zu haben. Und dieses Gefühl soll auch die Pubertistin mal haben, wenn sie sich über ihre schöne, unverletzte Braue streicht. Nein wie nein – da bin und bleibe ich eine Diktatorin.
Was jetzt kommt, ist ein altes, viele Jahre zelebriertes Ritual zwischen uns beiden. Die Papa-Oma ist eine richtige Oma, eine liebe Oma, die es gern geordnet mag. Eine, die gern kocht und backt und deshalb vor jedem Besuch genau wissen möchte, wem sie welches Lieblingsgericht zubereiten soll. Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke bespricht sie vorzugsweise Wochen vor dem Ereignis mit den zu Beschenkenden. Und wenn die Oma mit dem Opa und der Pubertistin wie jeden Winter in den Urlaub fährt, möchte sie halt gern vorher noch einmal die Details der Skiausrüstung besprechen. Und das zieht sich. Während wir reden, tippe ich eine SMS an meinen Chef: Komme heute später.
Es ist so, dass ich, im Gegensatz zu meinen Töchtern, Wintersport hasse. Ein Mal bin ich mit der Pubertistin, ihrer Schwester, dem Vater sowie der Oma und dem Opa – allesamt begeisterte Skifahrer – in die Berge gefahren. Ein Mal. Die zehn Tage verliefen desaströs, jedenfalls für mich. In einem kreischbunten
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