Die Pubertistin - eine Herausforderung
Schwester könnten unterschiedlicher kaum ausschauen. Nicht nur, dass eine blau- und die andere braunäugig ist, vom deutlichen Größenunterschied ganz zu schweigen. Wirklich witzig ist, dass die Pubertistin zu ihrem großen Leidwesen immer noch eher nach vierzehn als nach sechzehn Jahren aussieht. Das kleine Ding ist also ganz cool an eine Supermarktkasse getreten und hat – noch cooler – auf barsche Nachfrage den Ausweis ihrer Schwester vorgelegt. Die Kassiererin im Discounter muss ein schweres Augenleiden gehabt haben oder sehr um ihren Arbeitsplatz fürchten. Anders ist nicht zu erklären, warum sie diesen Beschiss nicht erkannt hat.
Wenn die Welt bereit ist für derlei dreisten Betrug, hat die Pubertistin eine milde Strafe verdient. Unsere Nachbarn waren ein bisschen entsetzt über den Billigfusel, den wir ihnen bei ihrem Gegenbesuch vorgesetzt haben. Aber lustig war der Abend, wir hatten einiges zu erzählen.
Keineswegs ist es so, dass ihr bei diesen gedanklichen Kapriolen das Wort Arbeiten in den Sinn käme. Das ist nichts für eine Sechzehnjährige im permanenten Selbstfindungsmodus. Wozu gibt’s schließlich Taschengeld? Und wozu Eltern, die es scheinbar jeden Monat säckeweise nach Hause tragen?
Es folgt ein erstes trilaterales Gespräch mit den Erziehungsberechtigten am Abendbrottisch, das sie mit der Bemerkung einleitet, da mal ’ne Frage zu haben. Es ist seltsam, ich bilde mir das wirklich nicht ein. Wenn dieses Kind Geld will, höre ich das sofort an ihrer Stimme. Ein rollendes Timbre kriegt die dann, so rollend wie Münzen, geschmeidig wie Geldscheine. Es ist mir fast peinlich. Denn was sagt mir das? Dass Gier einen eigenen Klang hat? Sei’s drum, eben dieser Klang bewirkt, dass ich mich in Sekundenschnelle argumentativ und mental hinsortieren kann. Denn was jetzt besprochen wird, haben wir schon Dutzende Male durchdiskutiert, egal ob es die Weihnachtsgeschenke, die Monatskarte oder das hundertste T-Shirt betrifft.
Ich hab’ da mal ’ne Frage, sagt also meine wunderbare Pubertistin. Ich lächle und lasse sie erst mal kommen.Ich bin ja jetzt immer am Wochenende unterwegs, fährt sie fort, und da esse ich ja auch – könnt ihr mir dafür nicht einfach Geld mitgeben? Ich lächle unvermindert weiter. Nicht zu fassen, dass sie diese Nummer immer wieder durchzieht; aber diesmal bleibe ich ganz ruhig, argumentativ und pädagogisch hochwertig. Ich meine, sagt die Pubertistin jetzt, ihr spart ja ’ne Menge Geld, wenn ich nicht mitesse.
Ich hab’ heute meinen gnadenlosen Tag und sage: Dann nimm dir halt ’ne Stulle mit! Große Beleidigung seitens der Einssechzigblondine. Hallo? Ich ess doch unter wegs keine Stulle! Elektra und Yasmin dürfen sich auch alles kaufen, was sie wollen, und ihre Mütter zahlen das.
Da sind sie wieder, meine beiden fernen Freundinnen, erneut sitzen sie mit ihren großstädtischen familiären Gepflogenheiten an meinem Kleinstadttisch! Dass die angeblich immer alles dürfen und haben, macht mich langsam sauer. Dann soll die Pubertistin doch deren Leben führen.
Der Vater sieht, wie es um mich steht, und greift ein. Was hältst du davon, arbeiten zu gehen?, fragter seine Tochter. Ein sinnloser Versuch, denn die Antwort auf diesen Vorschlag ist bekannt. Sie lautet: Wieso soll ich arbeiten gehen, ihr sagt immer, mein Job sei die Schule. Da hat sie recht. Das Problem ist nur, dass sie ihren Job eher mäßig erledigt – nicht besorgniserregend schlecht, aber Engagement sieht wirklich anders aus. Wir sagen, dass sie ruhig mal was tun kann, wenn sie Geld braucht. Englischnachhilfe für Grundschüler zum Beispiel. Oder das Amtsblatt austragen. Oder im Supermarkt Regale auffüllen. Oder-oder-oder. Für alles gibt es einen Grund, es nicht zu tun. Hört man ihr aber mal aufmerksam zu, ist es eigentlich nur ein einziger: Sie will nicht. Schließlich – ich er wähnte es bereits – gibt’s ja Taschengeld. Geld, das Eltern einfach aus dem Portemonnaie ziehen, wohin es ihnen der Geldgott gesteckt hat.
Als ich im Alter der Pubertistin war, habe ich gejobbt. Begonnen habe ich als Spülhilfe in einer Broilergaststätte in der Ostberliner Karl-Marx-Allee, aber dort stand das Geld in keinem angemessenen Verhältnis zur Arbeit. Ich will es mal so ausdrücken: Ich weiß seitdem alles und auch noch ein bisschen mehr als nötig über Hähnchen und ihre Verzehrmöglichkeiten,und ich weiß, wie kaputt Hände sein können in einer Weltgegend, in der
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