Die Pubertistin - eine Herausforderung
Pläne der Pubertistin aus, ihr anstehendes Austauschschuljahr betreffend. Sonne, Party, Gruppendynamik. Eine Gastfamilie gehört wohl auch irgendwie dazu. Schule, Fremdsprachen oder Kultur spielen eher keine Rolle. Ich frage mich,ob ich dieses Kind überhaupt irgendeine Grenze passieren lassen kann – so wie sie zu Themen wie Aufräumen, Hausaufgaben und innerfamiliärem Dialog steht. Aber sie will unbedingt weg, und macht auch keinen Hehl daraus, wie dringend das für sie ist. Ihr Wunsch, uns zu verlassen, ist geradezu beleidigend. Aber na gut, lass hören, liebes Kind, wie du dir dein nächstes Schuljahr vorstellst.
Für die Pubertistin steht fest, dass ihre Reise nach Amerika gehen muss. Dort war sie schon einmal beim Schulaustausch. Sie weiß, dass es da riesige Kühlschränke gibt, aus denen man sich unbegrenzt Industriefutter nehmen kann. Es gibt nette Hausfrauenmütter, die ihr auf Knopfdruck bestätigen, wie cute und sweet und brilliant sie ist, und die sie mit ihrer Familienkutsche überall hinfahren. Aber das Beste an den USA ist doch immer noch, dass es keinen Mangel an Einkaufszentren gibt.
Der Vater und ich waren schon ein paarmal in den Vereinigten Staaten, wir wissen, dass so ein agenturvermitteltes deutsches Highschoolgirl leicht in einem Wüstenkaff in Arizona landen kann, in einer Familie, die statt Kindern eine schöne SammlungHunde und ein ungelöstes Kreditproblem hat, das sie wiederum mit dem kleinen Gast aus Übersee lösen zu können glaubt. Aber das müssen Ausnahmen sein, denn die Kataloge, die die Pubertistin per Mail angefordert hat, zeigen ausschließlich Mädchen und Jungen in Polohemden, die exhausted und thrilled sind von ihrem Austauschjahr. Weniger begeistert sind wir von den Preislisten, die in Reispapierstärke den Katalogen beiliegen. Würden wir im Lotto gewinnen – nur mal angenommen –, würden wir so ein Jahr doch besser alle zusammen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten verbringen.
Wir fragen ein bisschen bei Freunden rum: Braucht jemand ein pubertierendes, aber insgesamt sehr nettes Mädchen? Wir hätten eins abzugeben und würden einen angemessenen Preis für entstehende Unkosten zahlen. Es meldet sich eine Freundin aus Kanada. Kanada?, sagt die Pubertistin, das ist doch wie Bochum statt New York. Anne aus ihrer Klasse geht im ersten Halbjahr nach Cambridge und im zweiten nach Aix en Provence, beide Male auf ein Musikinternat, weil Anne auch im Ausland an ihrer Celloausbildung feilen muss. Was ist also mit England? Von dort meldet sich ein sehr netter Kollege, dessenKinder gerade ausgezogen sind – er und seine Frau würden die Pubertistin aufnehmen, vorausgesetzt, sie hilft bei der Landarbeit mit. Dieses Angebot ist so abschreckend für unsere kleine Arbeitsbiene, dass sie langsam resigniert. Keiner will sie! Und das, obwohl sie so eine gute Sandwichtoasterin ist, eine Online-Spezialistin und große Erfinderin für Gründe, warum heute ein schlechter Tag zum Aufräumen ist.
Da meldet sich Tims Mutter bei uns. Nicht einfach so, wie wir zuerst annehmen, sondern weil unsere pfiffige Tochter sie angemailt hat. Hinter unserem Rücken! Tims Mutter ruft eigentlich nur an, um die Details mit uns zu besprechen: Abreisedatum, Auslandskrankenversicherung, Freistellungsantrag beim Schulamt, derlei.
Wir sind einigermaßen perplex. Mag sein, dass der Pubertistin unser Urlaub vor sechs Monaten in jenem fernen Ausland gut gefallen hat. Obwohl wir auf dieser Reise den starken Eindruck hatten, dass sie hinter ihrem Ponyvorhang und der dunklen Sonnenbrille nicht viel mitbekommen haben kann. Aber sie muss wohl gespürt haben, dass es dort eine wirklichsehr coole Gastmutter geben könnte und jenen wilden kleinen Bruder, den sie als Zweitgeborene nie hatte.
Wir zögern. Wir zögern nicht nur, wir schrecken zurück. Jenes ferne Ausland, in das die Pubertistin reisen möchte, ist seit Jahrzehnten in einer politischen Dauerkrise. Dort wird den Bewohnern nicht nur der Erwerb von mittelaltem Gouda schwer gemacht, sondern es wird auch ab und zu mal geschossen, und man spricht eine Sprache, die klingt wie ein schlimmer Halskatarrh. Diese Sprache müsste die Pubertistin lernen.
Warum nur, liebes Kind, fragen der Vater und ich, warum nur zieht es dich in dieses Land? Wir könnten einen Kredit aufnehmen und dich in einem Internat in, sagen wir, Polen einbuchen. Hallo?!, sagt die Pubertistin, Polen ist doch wie Finsterwalde statt München.
Es stellt sich
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