Die Puppe an der Decke
Blut schlecht wurde, sie hatte außerdem in all den Jahren eigenhändig das zu Weihnachten angeschaffte halbe Schwein zerlegt. Konrad war für solche Arbeiten nicht geeignet, er hielt fest und sie schnitt und sägte, so hatte die Arbeitsverteilung ausgesehen. Vom Fjord her wehte ein frischer Wind, sie sog die salzgesättigte Seeluft ein und stellte mit leichter Verwunderung fest, dass sie Hunger hatte.
Und dann sah sie Leo. Er kam mit langen Schritten aus der Stadt, kam auf sie zu. Er war größer als in ihrer Erinnerung, ein Eindruck, der von einem langen Mantel in militärischem Schnitt noch verstärkt wurde. Die Hände waren in tiefen Taschen begraben, er hatte sie gesehen, er lächelte.
»Wie viele hast du gekauft? Eins? Zwei?« Er war außer Atem, er lächelte, auch mit den Augen.
Sie hob den Katalog. »Der passte so ungefähr in meine Brieftasche.«
Er schaute auf seine Armbanduhr. »Gleich halb sechs. Du isst mit mir zu Abend. Darauf bestehe ich. Ich muss nur schnell Tron den Schlüssel bringen, damit er abschließen kann, wenn er geht. Werte, weißt du. Hohe Werte.« Er lachte. »Einverstanden? Du bist doch nicht so kindisch, dass du dich verdrückst?«
»Die Harfe?«
Er zuckte mit den Schultern. »Homokost, aber okay. Hast du diesen blöden Katalog wirklich gekauft? Dann kommt nur das Beste in Frage, auf Leos Rechnung.«
Er überquerte die Straße und riss die Tür auf. Sie konnte hören, wie er die Treppe hochlief.
Ein seltsamer Mann. Auf der Fahrt von Oslo hierher hatte er kaum ein Wort gesagt. Zwischen ihnen hatte ein natürliches Schweigen geherrscht, und sie hatte das angenehm gefunden. Jetzt plapperte er nur so drauflos.
Die Harfe, warum sollte sie dorthin? Vielleicht um sich einen Überblick über alle Quadrate auf dem Spielbrett zu verschaffen. Niels Petter Holand ging mit Nina wohl kaum ins Fønix, wenn er in seine Spendierhosen stieg. Oder vielleicht, weil sie Lust auf rosa Entenfleisch hatte?
In der Harfe gab es keine Speisekarte. Der Kellner führte sie durch das ockergelbe Lokal zu einem Ecktisch mit blauer Decke und brennenden Kerzen. Gleich darauf brachte er frisches Brot, Butter und einen Krug Eiswasser.
Dann sagte er seinen Spruch auf.
»Ich will ein Steak«, erklärte Leo. »Roh. Das schaffst du doch?«
Sie entschied sich für Seeteufel.
»Du nimmst es nicht übel, dass ich dich angerufen habe?«, fragte er, als der Kellner verschwunden war.
»Doch, ein wenig. Ich hatte dir meine Nummer nicht gegeben.«
Er bestrich ein Stück Brot dick mit Butter. »Das ist eine alte Unsitte. Ich sehe alles. Und erinnere mich an das, was ich gesehen habe. Du kannst ganz beruhigt sein, ich bin nicht auf blöde Abenteuer aus. Ich halte auch nicht Ausschau nach brauchbarem weiblichen Material.« Er schob ihr den Brotkorb zu. »Das schmeckt gut.«
»Worauf bist du dann aus?«
»Das hier. Essen. Wein. Eine, mit der ich reden kann.«
Sie lächelte. »Wir haben zweieinhalb Stunden Schweigen hinter uns.«
Er redete mit vollem Mund. »Deshalb.«
»Worüber willst du reden? Die Ausstellung?«
Er hatte seltsame blassblaue Augen. »Hat sie dir gefallen?«
»Ich bin mir fast sicher, dass du diese Bilder nicht gemalt hast, damit sie irgendwem gefallen.«
Er nickte. »Da hast du Recht.«
»In der Zeitung stand ein Leserbrief …«
»Den habe ich gesehen. Ich habe ihn selber geschrieben.«
Sie lachte und nahm sich Brot. Es war warm.
»Warum?«
»Weil mir das ernst war. Ich war immer schon der Ansicht, dass Leo in Oslo bleiben sollte, auch im Winter. Aber das schafft er nicht. Irgendetwas zieht und zerrt ihn hierher, wenn die Dunkelheit kommt. Es ist nicht die Ruhe. Hier unten gibt es keine Ruhe, es gibt nur Klatsch und Choräle. Und Brutalität. Es geht hier unten gefährlich zu, Rebekka! In Oslo kannst du dich verziehen. Hier unten musst du die ganze Zeit zur Stelle sein. Du kannst dir keine passende Kneipe suchen. Du musst dich der Kneipe anpassen. Wenn du dich volllaufen lassen willst, dann musst du mit den lokalen Wölfen heulen.«
»Das weiß ich. Ich war gestern im Piraten.«
Sie erzählte vom Gesicht des Jungen und vom Aschenbecher.
Leo grinste. »Er war sicher mit dem Moped an ihrem Klubhaus vorbeigefahren. Bimbo ist in Ordnung. Ich werde ihn malen. Wenn die Zeit reif ist, werde ich ihn malen.«
Sie dachte an die Bilder, die sie eben erst gesehen hatte. »Wenn er in den Straßengraben gefahren ist?«
»Er wird nicht in den Straßengraben fahren. Aber irgendwann wird irgendwer die
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