Die Puppe an der Decke
Sache satt haben und ihm eine Schrotladung verpassen.« Er lachte. »Nimm mich nicht ernst. Ich bin ein schlichtes Gemüt, das gern ein wenig Theater spielt. Ich male Fleisch. Rohes Fleisch, verrottendes Fleisch. Ich denke nicht besonders viel darüber nach. Ist dir die Serie mit dem toten Hund aufgefallen? Ich habe als Kind drei Jahre hier unten gewohnt. Damals lag hinter der Werft ein offenes Wiesengelände. Das musste ich jeden Tag auf dem Schulweg überqueren. Der Hund hieß Cato, er war ein ziemlicher Grobian. Ich habe keine Ahnung, wem er gehörte, aber er lief als freier Anarchist durch die Gegend und war für kleine Jungs verdammt gefährlich. Er trieb sich auf der Wiese herum und machte mir eine Heidenangst, so dass ich mir in die Hose pisste. Ich hatte immer schon Angst vor großen Hunden. Die habe ich noch immer.«
Er verstummte und schlug die Augen nieder.
»Und dann ist er gestorben?«
»Ich fing an ihn zu füttern. Um meine Ruhe zu haben, fing ich an ihn zu füttern. Mit Brot. Knochen. Kartoffeln. Er fraß alles. Am Ende wurden wir so gute Freunde, dass ich ihm problemlos den Hals durchschneiden konnte. Er sank lautlos zu Boden, ich hatte mir heimlich ein altes Bajonett ausgeborgt, das mein Vater an der Wand hängen hatte, es war die reinste Rasierklinge.«
»Tatkräftiger Knabe«, sagte Rebekka.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich war zwölf. Ich traf eine Entscheidung. Außer mir ging fast niemand über diese Wiese. Der Hund blieb den ganzen Sommer lang dort liegen. Die Ferien fingen an, aber ich ging jeden Tag hin, um nach ihm zu sehen. Zuerst schwoll er in der sengenden Hitze an, dann verströmten die Gase und er sank in sich zusammen. Die Farben änderten sich. Es stank natürlich wie die Hölle.«
»Es war sehr nett von dir, mich zum Essen einzuladen«, sagte sie. »Ich hoffe, es kommt bald.«
Der Wein wurde gebracht. Sie trank begierig.
»Der Gestank ist bald das Einzige, das uns noch bleibt«, sagte er. »Von dem können wir uns nicht freikaufen. An dem Tag, an dem irgendein cleverer Forscher die rosa Pille vorstellt, die menschlichen Abfall nach Lavendel duften lässt, sind wir fertig. Dann drehen wir durch.«
»Ich glaube, da kannst du ganz ruhig sein«, sagte sie.
»Was machst du, wenn du nicht malst?«
»Ich fahre auf den Fjord hinaus.«
»Jetzt? Im Winter?«
»Um diese Zeit ist es schön draußen auf dem Fjord. Du solltest mal mitkommen. Es ist nur eine Frage der richtigen Kleidung. Innen Wolle. Außen Wolle. Die Alten kannten sich damit aus.«
Das Essen wurde gebracht. Er langte gierig zu und war schon fertig, als sie nicht einmal die Hälfte geschafft hatte.
»Gut?« Er drehte sich eine Zigarette.
»Mm. Ich glaube sogar, es ist seinen Preis wert.«
»Und wenn nicht, dann ist das scheißegal. Da hinten hängen acht rote Zettel. Für zwei Wochen bin ich steinreich.«
»Kennst du hier unten viele Leute?«
»Das sind nur Bekannte. Näher lasse ich sie nicht an mich heran.«
8
Sie träumte, dass sie einen Hund zerlegte. Dass sie ihn aufschnitt, die Eingeweide herausnahm und den Kadaver in kleine und große Stücke zerteilte. Leo hielt fest und sie schnitt und sägte, und die ganze Zeit richtete er seinen blauen Blick auf sie, er war nicht erwachsen, er war ein Junge, aber es war Leo.
»Wir sind die Einzigen, die über diese Wiese gehen«, sagte er. »Wir müssen es tun.«
Sie erwachte in Schweiß gebadet und mit einem intensiven Unbehagen. Sie stand auf und trank ein Glas Wasser. Danach lief sie im Wohnzimmer hin und her und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Es war Viertel nach drei. Sie war hellwach, das warme Bett verlockte sie nicht, sie zog sich an, ging hinaus und setzte sich ins Auto. Der Motor war kalt und widerspenstig, aber sie erweckte ihn zum Leben und fuhr durch die menschenleere Stadt. Es regnete. Nirgendwo war auch nur eine Bewegung zu sehen. Sie dachte, so wird es aussehen, wenn wir uns selbst ausgetrickst haben, wenn wir uns im Kampf um ein leichteres Leben ums Leben gebracht haben. In diesen Straßen werden sie umherlaufen, die Weitgereisten von fremden Planeten und Galaxien, hier werden sie umherlaufen und die von uns hinterlassenen Zeichen deuten. Sie werden den Code der Schrift knacken und mit großen Augen Plakate und Anschlagtafeln und die Wörter lesen, die unter den Büsten von Frauen und Männern geschrieben stehen, sie werden in Bibliotheken und Zeitungsredaktionen eindringen, sie werden über den Alltag der Menschen staunen, über die
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