Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
Thornbury einkaufen und kocht dann, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hat – halb karibisch, halb Südstaatenküche. Manchmal gibt es Saltfish-Puffer und dazu einen ganzen Stapel Pfannkuchen mit Ahornsirup. Heute ist es Bananenporridge, gefolgt von weichen Brötchen – die sie Biscuits nennt – mit Sauce und Würstchen. Und Patiences selbst gemachter Liebstöckel-Brandy ist auch da, zwei oder drei Fingerhüte aus einer Keramikflasche zu dem dampfenden Becher mit schwarzem Kaffee aus der Espressokanne auf dem Gasherd. Kaffee kann er eimerweise trinken, sogar vor dem Schlafengehen.
Stewart liegt zu seinen Füßen, als er isst und mit den Biscuits die Sauce auftunkt. Biscuits. Er ist da immer ein bisschen unentschieden: Sind das Kekse, oder ist es eine Art weiche Brötchen wie die hier? Patience fragt er nicht, denn sie ist sorgenvoll mit den Formtabellen für das Showcase-Rennen in Cheltenham beschäftigt. Sie und Mum hatten das Wetten im Blut – beide behaupteten, es seien die Gene, die sie von ihrer Mutter bekommen hätten. AJ erinnert sich an die vielen langen Nachmittage, die er als kleiner Junge vor dem Wettbüro in Thornbury verbringen musste, wenn seine Mum und Patience, bewaffnet mit Handtaschen und Zeitungen, dort hineingingen. Er war zu jung und durfte nicht hinein, und deshalb kamen die beiden Frauen heraus, um die Formtabellen mit ihm zu vergleichen und ihn nach seiner Meinung zu fragen. »Du bist unser Glücksbringer«, sagten sie und lachten. Was für ein Glück.
»Das wär’s dann mit meinem Erbe«, sagt AJ jetzt und schiebt die Würstchen auf dem Teller herum. »Du setzt alles darauf, dass Rude Boy in Wincanton siegt.«
Patience stellt die Pfanne hin, dass es knallt. Es macht ihm Spaß, sie aufzuziehen, denn sie ist unglaublich reizbar bei diesem Thema. »Ja. Und was willst du damit sagen?«
»Keine Ahnung. Ich nehme an, du hättest auch auf Platz wetten können? Nur um am Ende nicht in den Arsch gekniffen zu sein.«
»Mein Hintern ist so groß, dass das nicht sonderlich schwer wäre«, sagt Patience, ohne eine Miene zu verziehen.
»Du immer mit deinen Schwarz/Weiß-Klischees, Patience. Du hörst dich an wie aus Vom Winde verweht . Redest auch so. Du bist halb weiß.«
»Und? Warum soll ich damit aufhören? Gib den Leuten, was sie erwarten, und dein Leben ist sehr viel einfacher.«
»Ja, aber damit perpetuierst du ein negatives Image deiner Rasse.«
»Meiner halben Rasse. Und das – das, was du da gerade gesagt hast – ist nur Psychogeschwätz. Das lernst du da, wo du arbeitest.«
»Das ist kein Psychogeschwätz, sondern ein Jargon, der sehr viel stärker in den Sozialwissenschaften verwurzelt ist als in der Psychologie«, sagt er hochnäsig. »Und ich habe es nicht in der Klinik gelernt. Solche Bemerkungen kannst du an jeder Straßenecke aufschnappen.«
Tante Patience ist ihm nicht gewachsen, wenn er anfängt, so zu reden. Deshalb gähnt sie nur theatralisch und wendet sich ab, um ihre SMS -Nachrichten zu lesen. Auf diesem Wege bekommt sie heutzutage ihre Tipps. Nicht mehr als Kugelschreiberkringel auf der letzten Seite einer Zeitung, wie er es aus seiner Kindheit in Erinnerung hat, sondern von Buchmachern, die die Handynummer seiner Tante auf ihrer Liste haben und ihr SMS -Nachrichten schicken.
Patience umsorgt ihn und leistet ihm Gesellschaft, aber das hat seinen Preis. Mit Geld kann sie genauso schlecht umgehen wie Mum. Wenn er nicht da wäre und sie im Auge behielte, wäre dieses Haus mit allem, was darin ist, längst verzockt, da ist AJ sicher. Viel ist es sowieso nicht: eine komische alte Bude, die aus drei zusammengetackerten, winzigen Cottages besteht. Es gibt drei Treppen nach oben, was ihm, Mum und Patience entgegenkam. Der gemeinschaftlich genutzte Bereich war im Erdgeschoss, und jeder von ihnen hatte ein Schlafzimmer und ein Bad im ersten Stock. Mums Zimmer lag in der Mitte. Jetzt, nachdem sie gestorben ist, könnten er und Patience es als Abstellkammer benutzen, aber keiner von ihnen möchte dieses Thema ansprechen, und deshalb steht das Zimmer leer. Ein Loch über ihren Köpfen. Sie erwähnen es nicht, denn sonst würden sie über Mums Tod sprechen müssen.
Ja, denkt er und gibt Stewart den Rest seiner Würstchen, wenn es darum geht, wie Mum gestorben ist, gibt es da ein paar Dinge, die wahrscheinlich nie mehr ausgesprochen werden.
Morgen ist er für den Frühdienst eingetragen. Also muss er seinen Schlafrhythmus erneut umstellen (zum millionsten Mal). Um zwei Uhr
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