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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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über den Tag nach. Eine schnell geschnittene Filmmontage läuft in ihrem Kopf ab, mit Aufnahmen der Bereiche, die sie abgesucht haben: die Umgebung der Klinik. Schnitt : das Umspannwerk. Schnitt : eine wenig befahrene Landstraße. Jack Caffery, der stumm dasteht und sie beobachtet, so wie er sie heute Morgen beim Laufen beobachtet hat. Ohne ein Wort zu sagen.
    Sie hat sich von seinen prüfenden Blicken nicht stören lassen – hat das Gelände mit peinlicher Sorgfalt abgesucht und dabei ihre Rolle perfekt gespielt. Nur sie weiß, dass es Zeitverschwendung ist. Mistys Knochen liegen nicht unter einer Hecke. Sie sind nicht auf einem Feld verstreut und nicht in einer flachen Grube unter einer der Baumgruppen bei der Klinik verscharrt. Sie liegen etliche Meilen weiter, am anderen Ende des Countys.
    Flea Marley weiß das, weil sie diejenige ist, die den Leichnam versteckt hat. Vor fast achtzehn Monaten. Das ist eins der Dinge, die sie mühevoll in einem Kasten in ihrem Kopf eingeschlossen hat. Eins der Dinge, die sie nicht anschauen darf, wenn sie nicht abstürzen will.
    Sie dreht die Dusche ab, steigt hinaus und trocknet sich ab. Die Büros sind jetzt leer. Sie ist allein, sie und die Reihen der Taucheranzüge, die wie Gespenster im Geräteraum hängen. Die Masken im Spindraum. Die Leichensäcke im Technikerraum. Niemand, der sie kontrollieren oder fragen kann, was sie hier tut. Sie wischt mit ihrem Handtuch über den beschlagenen Spiegel und starrt ihr Bild an. Ja, ihr Gesicht ist wieder voller, die Haut rosiger – aber jetzt, da das MCIT die Ermittlungen im Fall Misty noch einmal aufgenommen hat, ist da wieder diese leichte, angstvolle Anspannung um ihre Augen.
    Den ganzen Tag über hat sie leise Verzweiflung empfunden und befürchtet, sie könnte jeden Augenblick anfangen zu weinen. Verrückt, dass niemand es bemerkt hat. Noch jetzt muss sie bis zehn zählen, um sich unter Kontrolle zu bringen. Sie sprüht sich mit Deo ein, nimmt ihre Sportsachen aus dem Rucksack und zieht sich langsam an. Viele Schichten übereinander – es ist kalt da draußen. Sie streift eine wasserdichte Hose über die Leggings und zieht eine mächtige Montane-Jacke aus Polizeibeständen an. Sie stopft Einmalhandschuhe und solche aus wärmeisolierendem Thinsulate in die Taschen, macht überall das Licht aus, vergewissert sich, dass die Computer abgeschaltet sind, und geht mit gesenktem Kopf hinaus auf den Parkplatz.
    Der Berufsverkehr ist vorbei, aber sie braucht immer noch mehr als eine Stunde, um sich durch den Norden von Somerset zu schlängeln. Sie kommt dicht an ihrem Haus und dicht an der Klinik vorbei – an den entscheidenden Orten im umfangreichen Storyboard dessen, was mit Misty Kitson vor all den Monaten wirklich passiert ist. Als sie schließlich anhält, ist sie auf einem kleinen Sträßchen eine Meile weit südöstlich der Klinik, am unteren Rand zweier großer Felder, die vom Wald rings um Farleigh Park Hall bis hier herunterreichen.
    Die ganze Zeit, während das Team suchte, hat sie verstohlen diesen Bereich der Karte im Auge behalten – hat im Wagen insgeheim immer wieder zur Ablage hingeschaut, wo sie lag – und ausgerechnet, wie lange es dauern würde, bis die Suche plangemäß an dieser kleinen Straße ankäme. Sie liegt knapp außerhalb des Gebiets, das letztes Jahr abgesucht wurde, und soll bei dieser neuen Aktion mit abgedeckt werden. Wahrscheinlich ist es übermorgen am späten Nachmittag so weit. Oder am Tag danach.
    Sie öffnet die Wagentür und stellt die Füße auf den Asphalt. So weit draußen auf dem Land ist es unendlich still. Hier leben Rehe und Dachse und Kaninchen. Irgendwo ruft eine Eule, in den Bäumen oben auf der Anhöhe. Selbst wenn sie sich konzentriert, hört sie kein Motorengeräusch – kein Auto, kein Flugzeug. Nichts. Sie zerrt ihren Rucksack aus dem Wagen, setzt ihn auf und tritt die Tür zu.
    Sie ist auf einer kleinen, wenig befahrenen Straße – ein paar Felder auf der linken Seite, Wald auf der rechten. Sie kennt die Gegend gut. Als sie losgeht, erscheint hoch oben in den Bäumen vor ihr der matte Lichtschimmer einer Ortschaft. Vor nicht allzu langer Zeit hat es dort einen Mord gegeben. All die amerikanischen und chinesischen und japanischen Touristen, die hier vorbeikommen und mit großen Augen die hübschen Cottages und Strohdächer und Dorfanger bestaunen … sie wissen nicht mal die Hälfte. Sie ahnen nichts von der Hässlichkeit, die sich hinter dieser idyllischen Fassade verbirgt. Von

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