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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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seinem Schreibtisch liegt eine Mappe mit Zeldas Reha-Unterlagen. Einer der Ergotherapeuten hat sie mit einer Notiz versehen hier abgeliefert: Haben das hier in Zeldas Spind im Therapiezentrum gefunden. Will die Polizei diese Unterlagen? Oder ihre Familie? Falls nicht, bitte vernichten. Wird nicht mehr benötigt . Er blättert müßig darin: endlose Aufgaben, die man ihr gestellt hat, darunter fiktive Lebensläufe und Bewerbungen um fiktive Jobs. Listen der Dinge, die sie ihrer eigenen Meinung nach der Welt zu bieten hatte (sie hat geschrieben: atraktiv, umgenglich, gute Zuhörerin ). Rezepte, die sie aus dem Netz kopiert hat, Zeichnungen, Entwürfe von Beschwerdebriefen mit detaillierten Angaben zu marodierenden Patienten, Mitarbeitern und Dämonen, die sie jede Nacht vergewaltigten. Einer ist an Barack Obama adressiert. AJ schüttelt den Kopf. Er könnte sich vorstellen, dass das Weiße Haus ein eigenes Team für die Bearbeitung von Spinnerbriefen hat – Männer in Anzügen und Frauen vom Brooks College, genau wie im Fernsehen in West Wing .
    AJ will den ganzen Packen in den Papierkorb werfen, als ihm an einem von Zeldas Bildern etwas auffällt. Er lehnt sich mit der Akte auf dem Schoß zurück und faltet das große Bild auf dem Tisch auseinander. Seiner Erfahrung nach sind Bilder von Geisteskranken entweder höchst kompliziert, und zwar auf obsessive Weise (wie bei Leuten, die die Londoner Skyline in einer Parfümflasche nachbauen), oder sie sind von geistesbetäubender Kindlichkeit.
    Zeldas Werk gehört zur zweiten Kategorie. Eine Grundschülerin in der vierten Klasse wäre stolz auf so etwas. Plumpe Pferde donnern über das Moor, geritten von einer Gestalt, die möglicherweise Heathcliff sein soll, aber auch Dracula sein könnte. Was AJs Aufmerksamkeit erregt hat, befindet sich in der oberen Ecke. Es sieht aus wie eine zweite Gestalt, die die Szene von einem fernen Berg aus beobachtet. Sie ist eigentlich menschlich – bis auf das Gesicht, das gespenstisch glatt und konturlos ist. Sie trägt ein weißes Kleid, ihr Haar ist an den Seiten des Kopfes buschig, und die Arme sind orangegelb und braun gestreift. Was sie in den Händen hält, sieht aus wie zwei kleine Marionetten.
    AJ lässt das Blatt hastig fallen. Rasch steht er auf, geht zwei oder drei Schritte auf und ab, wischt sich die Hände ab und wirft unbehagliche Blicke auf die Zeichnung. Schließlich zieht er die Leselampe über den Schreibtisch und betrachtet das Ganze eingehender. Jetzt sieht er, dass Heathcliff Ähnlichkeit mit Dracula hat, weil die Zunge leuchtend rot und geschwollen in seinem Mund liegt. Seine Arme bluten. AJ zwingt den Blick zu der gnomartigen Gestalt am Horizont. Hockt sie da? Oder ist sie nur klein? Ein Zwerg. Jeder, der »Maude« jemals beschrieben hat, sagt, sie habe ein glattes, beinahe konturloses Gesicht.
    Er fühlt, wie Ärger und Wut in ihm aufsteigen. Gerade als er wieder besser drauf ist, gerade als er vielleicht aufhören kann, über »Maude« nachzudenken, muss ihm das hier in die Hände fallen.
    Pfirsichsteinhöhle
    Der Raum ist klein und niedrig. Die Wände erinnern an einen polierten Pfirsichkern, und der Boden ist weich. Es riecht nach Tanne, und es ist dunkel – so dunkel, dass Penny Angst haben sollte. Aber die hat sie nie. Sie ist sicher, dass die Schwärze vorübergehen wird und dass irgendwo in dieser engen kleinen Kammer eine Tür ist, ein Wurmloch, das zu etwas Größerem führt. Sie tastet blind umher, denn sie ist sicher, der Ausgang ist hier irgendwo. In dem Traum ist ihr manchmal, als suche sie nach einem Korken, der in der Wand steckt und herausgezogen werden muss. Dann wieder ist es eine kleine Tür, die in einen winzigen Gang führt, in den sie sich hineinzwängen kann. Ein andermal ist es ein Stöpsel an einer Kette. Zieht sie an der Kette, geht das Loch auf, und Sterne, Sonnen, ganze Sonnensysteme entzünden sich.
    Der Traum löst sich immer genau in dem Augenblick auf, in dem sie glaubt, sie habe den Zugang gleich gefunden. Das Bild verschwimmt zusehends, Winde fegen vorüber, und dann ist da nur Penny, die auf dem Rücken liegt und blinzelnd an die Decke ihres Schlafzimmers in der Old Mill starrt. Dann hat sie lautes Herzklopfen.
    Instinktiv streckt sie die Hand nach Suki auf der anderen Seite des Bettes aus. Dann fällt es ihr wieder ein. Ach ja. Dieser Teil ihres Lebens ist vorbei. Dahin. Sie streicht mit der Hand über den Quilt und ist sicher, dass sie ein bisschen Wärme spürt – als hätte da

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