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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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schlimme Nacht. Sie rutscht und wälzt sich herum und findet keine bequeme Position. Immer wieder ist sie halb wach und denkt, jemand sei ins Zimmer gekommen. Manchmal sind es ihre Eltern, manchmal ist es Jack Caffery. Einmal richtet sie sich auf und sieht einen Schädel, der sich im Bildschirm spiegelt – halb Frau, halb Pferd, mit langen Schneidezähnen und zurückgewichenem Zahnfleisch, mit blondem Haar und leeren Augenhöhlen.
    Misty? , fragt sie.
    Ja, hi, was ist? , sagt Misty. Hast du vielleicht ein, zwei Decken für mich, oder ist das zu viel verlangt? Und warum hast du mich da hingebracht? Sie werden mich finden – er wird mich finden, wenn du ihn schon nicht zu mir führst.
    Flea streckt die Hand aus, aber die Gestalt löst sich auf, und sie liegt mit laut pochendem Herzen im Bett. Sie starrt den Fernseher an. Eine Frau erscheint, die mit feierlicher Miene auf einem Sofa Platz nimmt. Kurzer Rock, die gebräunten Knie zusammengedrückt, wendet sie sich sittsam dem Moderator zu, der ein ernstes, mitfühlendes Gesicht macht. Flea tastet nach der Fernbedienung und dreht die Lautstärke hoch.
    »… jemand muss etwas wissen«, sagt Jacqui Kitson. »Jemand muss wissen, wo sie ist.«
    Flea drückt die AUS-Taste. Der Fernseher pfeift kurz und ist dunkel. Sie legt die Ellenbogen auf die Knie und massiert sich mit den Daumen die Schläfen. Was gestern Abend passiert ist – war das real? Wirklich und wahrhaftig? Jack sagt, er hat sie im Steinbruch gesehen. Es muss wahr sein. Wie käme er sonst darauf?
    Draußen vor dem Fenster schiebt sich die aufgehende Sonne durch die lange Furche des Tals. Die Lichter der Stadt Bath erloschen eins nach dem andern. Die Stadt erhebt sich langsam aus dem monochromen Dunst. Sie schleppt sich aus dem Bett und tappt durch den Korridor mit dem schiefen Fußboden ins Bad. Links ist das Zimmer, in dem sie die zugeklebten Pappkartons lagert. Dieses weitläufige alte Haus ist ihr Zuhause. Hier ist sie aufgewachsen. Mum und Dad sind tot – ein Unfall beim Tauchen vor Jahren –, und das Haus ist leer ohne sie. Eine Hülse. Erst vor Kurzem ist sie endlich dazu gekommen, ihre Habseligkeiten wegzupacken. Gehört alles zum Heilungsprozess – eine Art für die Seele. So kann sie weiterfliegen.
    Sie putzt sich die Zähne, wäscht sich das Gesicht und zieht ihre Laufsachen an. Kurz lässt sie sich auf dem Badewannenrand nieder, um sich die Schuhe zuzubinden. Sie kann nicht tun, was Caffery will, denn es bedeutet, Schachteln mit Gedanken zu öffnen, die so säuberlich verpackt sind wie die Kartons in dem anderen Zimmer, eingelagert in den dunklen Winkeln ihrer Erinnerung. Sie muss sich am Riemen reißen. Wenn sie zu viel darüber nachdenkt oder es an sich heranlässt, wird es sie zu Boden werfen. Zunichtemachen. Und das wird niemandem nützen. Weder ihr noch Caffery. Auch nicht Jacqui Kitson.
    Sie springt auf und trabt energisch die Treppe hinunter.
    Man kann Dinge wieder in die Schachtel legen. Ja, von Zeit zu Zeit springen sie vielleicht heraus und zappeln ein bisschen, aber man kann sie zurückzwingen, wenn man sich nur anstrengt. Entscheidend ist es, in Bewegung zu bleiben. Nicht zurück zu schauen. Sie holt ihre Trainingsjacke und nimmt den Schlüssel vom Haken. Öffnet die Tür und läuft hinaus in den eiskalten Nebel.
    Das Armband
    Am nächsten Morgen treffen Melanie und AJ eine unausgesprochene Vereinbarung. Sie werden über das, was in der Nacht passiert ist, hinweggehen. Es nicht ernst nehmen. Sie macht einen schlechten Witz über Gespenster. Er lacht und schießt mit einem Scherz zurück – etwas über Stalker und dass sie sich noch in eine der Patientinnen verwandeln wird: Sie wird mit Essensflecken auf den Kleidern herumlaufen, und der Sabber wird ungehindert aus ihrem Mund tropfen. Sie kitzelt ihn und streicht mit ihrem Haar über seine Brust. Er grabscht spielerisch nach ihren Brüsten, und sie rollt sich zusammen und quiekt vor Lachen.
    Sie schlafen bei weit offenen Vorhängen miteinander. Die kahlen Äste am unteren Ende des Gartens sind mit Reif bedeckt und starr. Danach liegt sie auf dem Bauch, hat den Kopf auf die Arme gelegt und redet.
    Es zeigt sich, dass Melanie ihr eigenes Päckchen an Empfindsamkeiten und Unzulänglichkeiten zu tragen hat. Dabei geht es nicht nur um den Tod ihres Vaters, sie ist auch die Frau, die bisher jeden Mann verloren hat, weil sie in ihrem Beruf zu engagiert ist. In den Nachwehen der Thatcher-Jahre wurde Melanies Klinik in Gloucester geschlossen,

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