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Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Die Puppe: Psychothriller (German Edition)

Titel: Die Puppe: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Oktober, der Monat, in dem sie Holzapfel und Schlehe sammelt. Der Monat, in dem sie ihre Gin-Aufgüsse ansetzt. Sie hebt das Blatt hoch und schaut auf den November, der nur noch ein paar Tage weit weg ist. Am 2. November ist Allerseelen, der Tag, an dem die Menschen wirklich begreifen, wie sinnlos der Körper ist, und erkennen, wo sie in Wahrheit existieren: im Geiste nämlich. Der uralte, mystische Tag der Toten.
    Fünfzehn Jahre ist es her, fast auf den Tag genau, dass Isaac Handel seine Eltern umgebracht hat.
    Isaac Handel
    Als AJ mit Zeldas Bild in der Hand durch den Korridor auf Melanies Büro zugeht, kommt ihm der Gedanke, was ihn dort hintreibt, könnte vielleicht nicht nur die Gänsehaut sein, die Zeldas Zeichnung bei ihm hervorruft, sondern mehr noch der Wunsch nach einem Vorwand, mit ihr zu sprechen. In ihrer Gesellschaft zu sein. Auf der Treppe denkt er daran, wie sie ihm letzte Nacht den Rücken zugewandt und wie sehr er sich da gewünscht hat, sie zu beschützen. Er denkt an Jonathan Keay und dessen starke Arme und fragt sich, ob der sie wohl beschützt hat. Bei den Patienten war er wegen seiner mürrischen Art nicht beliebt. Er hatte einen arroganten Upperclass-Akzent, der klang, als hätte er in seiner Jugend Polo gespielt. AJ fragt sich, ob Keay jemals Melanie gegenüber mürrisch war. Wenn ja, hat sie es nicht verdient.
    Er klopft anstandshalber an die Tür, und es bleibt lange still. Dann ruft eine schlaftrunkene Stimme: »Ja?«
    »Ich bin’s.«
    »AJ?«
    »Ja.«
    Noch eine Pause. Er hört Schritte, und dann wird der Schlüssel umgedreht. Erst jetzt wird ihm klar, dass die Tür abgeschlossen war. Als sie öffnet und er ihr Gesicht sieht, versteht er, warum. Sie ist zerknittert vom Schlaf, und ihr Haar ist zerzaust. Sie hat ihren Schlaf nachgeholt. Sofort möchte er sie küssen.
    »Oh.« Sie reibt sich das Gesicht. »Entschuldige. Ich war …«
    »Ich weiß.« Er kommt herein und schließt die Tür hinter sich. »Hey«, sagt er und streckt die Arme aus. »Komm her.«
    Sie lächelt und lässt sich an seine Brust fallen. Er drückt sie an sich und küsst sie auf den Scheitel. Sie ist so warm, so weich. Wenn er die richtigen Worte wüsste und genug Selbstvertrauen hätte, würde er ihr hier und jetzt einen Heiratsantrag machen. Nur damit er für alle Zeit weiter an ihrem wirren Haar riechen könnte.
    »Ich habe letzte Nacht nicht geschlafen.«
    »Ich weiß«, brummt er. »Ich auch nicht. Soll ich dir einen Kaffee machen?«
    »O Gott. Ja, bitte.«
    Melanies Büro hat ein Bad und einen Küchenbereich, und dort gibt es eine Mikrowelle, einen Herd, eine Spüle, einen Kühlschrank und eine Kaffeemaschine auf dem neuesten Stand der Technik mit lauter sehr bunt emaillierten Tassen, so groß wie Fingerhüte. Sie geht ins Bad und wäscht sich das Gesicht, und er macht drei Tassen, zwei für sie und eine für sich. Nachdem sie zusammen gefrühstückt haben, weiß er, wie sie ihren Kaffee gern trinkt: stark, schwarz und mit viel Zucker. Er findet es super, dass sie Zucker nimmt, keinen Süßstoff, und eine Menge Milch. Genauso trinken Mum und Patience ihren Kaffee: nicht amerikanisch, sehr europäisch. Melanie mag bei der Arbeit reserviert und streng sein, aber wenn es um Lust und Leidenschaft geht, lässt sie die Zügel schießen.
    Sie geht zu ihrem Schreibtisch, und er bringt die Tassen hinüber. Sie nimmt einen kleinen Schluck und zieht die Brauen hoch. »Und?«
    Er rollt Zeldas Zeichnung auseinander und hält sie ihr hin. Melanie starrt das Bild eine Zeitlang an; dann setzt sie die Brille auf und schaut genauer hin. Schließlich schüttelt sie den Kopf.
    »Sorry, ich bin zu dumm dafür. Was soll mir das sagen?«
    »Das hat Zelda gemalt.«
    »Und? Es scheint Dracula zu sein. Oder eine Fledermaus – schwer zu sagen.«
    »Ich glaube, das ist sie selbst auf der Flucht. Und da? Siehst du?«
    Er legt den Finger auf das Gesicht der Gestalt auf dem Berg.
    »Was ist das?«
    »Du weißt schon, was es ist. Das M-Wort.«
    Melanie kneift die Augen zusammen und schaut sich das Bild genauer an. Nach einer Weile erschlafft ihr Gesicht, und sie reibt sich müde die Augen. »Oh, AJ, bitte, lieber Gott, nicht noch mal von vorn. Das ist doch alles aus und vorbei …«
    »Wirklich?«
    »Ja. Ich habe heute Morgen einen Anruf von der Polizei bekommen. Sie können offiziell noch nichts sagen, aber sie haben mir zu verstehen gegeben, dass alles okay ist – es wird keine weiteren Untersuchungen geben. Zelda bekommt die würdige

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