Die Puppenkönigin – Das Geheimnis eines Sommers (German Edition)
Blick zu den Bäumen und den Bergen aus Büchsen und Metall vor dem Fenster schweifen.
»Nein, du Idiot«, antwortete Alice. »Ich habe ihr vorher gesagt, dass du uns nicht glauben und jede Hilfe verweigern würdest.«
Er warf verwirrt die Hände in die Luft. »Hilfe? Wobei denn? Ich soll euch helfen, eine Puppe zu beerdigen ? Ihr weckt mich mitten in der Nacht, damit ich euch dabei helfe?«
Als Poppy die Puppe an ihre Brust drückte, ging ein Puppenauge auf und zu, als wollte sie ihm zuzwinkern. »Eleanor Kerchner gibt es wirklich. So heißt das Puppenmädchen, das hat sie mir selbst gesagt. Ihr Vater hat in einer Porzellanfabrik gearbeitet und Geschirr entworfen und verziert. Als Eleanor starb, ist ihr Vater vor Schmerz verrückt geworden. Er konnte es nicht ertragen, sie zu begraben, und brachte ihre Leiche zu den Brennöfen an seinem Arbeitsplatz. Dann hat er sie zerstückelt und verbrannt. Die Knochen hat er eingesammelt und zu Porzellan verarbeitet und schließlich in die Form von Eleanors Lieblingspuppe gegossen. Und so blieb ihr Grab leer.«
Zach wollte schlucken, doch seine Kehle war plötzlich staubtrocken. Es war so leicht, sich vorzustellen, dass die Puppe sich plötzlich bewegte, mit ihren bemalten Augenlidern klapperte und zu ihm sprach. Oder vielleicht ihren kleinen Rosenknospenmund zu einem Schrei aufriss. »Das hat sie gesagt?«
»Jede Nacht hat sie mir ein bisschen mehr von ihrer Geschichte erzählt.« Im Schein der Taschenlampe sah Poppys Gesicht seltsam aus. »Sie findet keine Ruhe, bis wir sie begraben. Und uns gönnt sie auch keine Ruhe. Sie hat geschworen, uns zu verfolgen, falls wir ihr nicht helfen.«
Zach sah Alice an. »Und du glaubst das? Du schluckst das alles?«
»Ich habe noch nie an Geister geglaubt, also, nein, erst mal nicht«, sagte Alice. »Nichts für ungut, Poppy, aber die Geschichte ist total irre. Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, aber zeig ihm das Ding . Es ist wirklich überzeugend.«
»Was soll sie mir zeigen?«
Poppy rupfte den Kopf der Puppe mit einem Ruck vom Hals. Zach keuchte angesichts dieses gewalttätigen Vorgangs, doch darunter kam nur eine rostige Konstruktion aus Haken und Schnüren zum Vorschein. Mit einer weiteren Drehung löste sich der Kopf der Königin endgültig und hing nun, nur von einem der Haken gehalten, auf ihrem Rücken. Poppy glitt mit den Fingern in die Puppe und tastete darin herum, als würde sie nach etwas Bestimmtem suchen.
»Was machst du denn da?« Er starrte den abgetrennten Kopf an. Die Augen waren jetzt geschlossen.
Poppy zog ein altes Jutesäckchen aus der Öffnung. »Da, guck rein.«
Zach nahm den groben Stoff in die Hand, während sie den Strahl der Taschenlampe darauf richtete. Auf den Beutel waren Buchstaben und ein Datum gestempelt. Der Beutel war voll, doch Zach konnte nicht erkennen, was er enthielt.
»Liverpool?«, las er laut vor. Er erinnerte sich vage an einen nächtlichen Dokumentarfilm über englische Rockmusik, den seine Mutter gesehen hatte. »Da kommen die Beatles her – aus England. Wie sollen wir denn dahin kommen? Unmöglich. Ich denke, wir sollten erst mal herausfinden, ob Geistermädchen wirklich Menschen verfluchen können, weil … «
»Das dachte ich auch erst«, unterbrach ihn Alice und zeigte auf die Buchstaben. »Aber du musst genau hinsehen. Da steht East Liverpool . Das ist in Ohio. Wir könnten mit dem Bus hinfahren und morgens da sein.« Sie legte eine kurze Pause ein. »Und genau das machen wir auch. Wir fahren. Heute Nacht. Beziehungsweise, da schon Morgen ist, fahren wir heute früh.«
Zach sah Alice und dann Poppy an. »Deshalb habt ihr mich hierher gebracht?«
»Wir haben gestern schon versucht, es dir zu erklären«, sagte Alice. »Ich habe dir gesagt, dass es wichtig ist.«
Poppy beugte sich vor und richtete die Taschenlampe erst auf ihre Uhr und dann auf ihn. »Um Viertel nach zwei hält ein Bus in der Stadt. Er kommt aus Philadelphia und fährt nach Youngstown. Auf der Strecke hält er in East Liverpool. Alice hat gesagt, sie kommt mit, wenn du auch mitmachst.«
Zach dachte über die Spukgeschichte nach, die Poppy letztens auf dem Schulweg erzählt hatte – in der man die Luft anhalten sollte, wenn man an einem Friedhof vorbeikam. War das auch wieder eins ihrer Spielchen? Ein Spiel, das sie in ihrer aller echtes Leben trug? Doch Poppy wirkte überhaupt nicht so glücklich wie sonst, wenn sie einen aufregenden Einfall hatte. Sie sah blass und nervös aus, als hätte sie
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