Die Puppenkönigin – Das Geheimnis eines Sommers (German Edition)
lernen, wie man richtig Pasta kochte. Er prahlte damit, dass er einen Werbespot im Spätabendprogramm des Lokalsenders buchen und ein Vermögen verdienen würde. Doch bereits nach zwei Monaten war er wieder da und zog in eine heruntergekommene Wohnung in einem der größten und baufälligsten der viktorianischen Häuser. In Zachs Leben tauchte er immer mal wieder auf und ab, bis es ihn endgültig zu ihnen zurücktrieb. Es war, als binde die Stadt ihre Bewohner mit einer besonderen Anziehungskraft an sich. Doch Zach wusste, dass auch das nur eine weitere Geschichte war. Sein Vater war zurückgekommen, weil er es in der Großstadt nicht geschafft hatte. Das war alles.
Er fragte sich, ob erwachsen zu werden bedeutete, zu erkennen, dass die meisten Geschichten sich als Lügen entpuppten?
An der Bushaltestelle war es so kalt, dass Zachs Atem Wölkchen bildete. Der Wind war stärker geworden und fegte über die Kinder hinweg, als sie sich vor der Backsteinwand des Postamts aneinanderschmiegten. Im flackernden Schein der Straßenlaternen konnte Zach die Mädchen besser sehen. Poppy hatte ihr kupferrotes Haar zu einem Pferdeschwanz geschlungen und trug eine dunkelgrüne Jacke, Jeans und hohe braune Stiefel. Alice hatte sich in einen weiten roten Mantel gehüllt und beide Mädchen trugen Rucksäcke.
Zachs Blick ruhte auf Poppys Rucksack, weil er wusste, dass sich die Puppenkönigin darin befand und irgendwie auch wusste, dass ihre Augen weit aufgerissen waren. Er spürte ihren unheimlichen Blick in seinem Rücken, als er sich abwandte. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf, kitzelten ihn und jagten ihm einen Schauer über den Rücken.
Der Bus hatte bereits eine Viertelstunde Verspätung und war nirgends in Sicht. Auf der Straße fuhr um diese Uhrzeit auch kein anderes Fahrzeug. Vor einiger Zeit hatten sie einen Polizeiwagen an einer entfernten Kreuzung gesehen und sich flach an die Hauswand gedrückt. Während sie sich versteckten, hatte Poppy die ganze Zeit gemurmelt, das leuchtende Rot von Alice’ Mantel würde sie verraten, und Alice hatte zurückgeflüstert, dass sie eben nur für eine Übernachtung bei Poppy gepackt und nicht hätte ahnen können, dass sie noch in der Nacht zu diesem behämmerten Ort aufbrechen würden. Doch das Polizeiauto war in die Hauptstraße abgebogen und fortgefahren. Als Nächstes kam ein LKW , der nicht einmal sein Tempo drosselte.
Alice gähnte. »Vielleicht sollten wir wieder nach Hause gehen. Es sieht nicht so aus, als würde der Bus noch kommen.«
Zach ließ sich von ihrem Gähnen anstecken.
» Hört auf «, sagte Poppy. »Wir müssen nur noch ein bisschen warten.«
»Du kannst nicht sauer auf uns sein, weil wir müde sind«, sagte Zach.
Poppy war sichtlich wütend, doch sie sagte nichts mehr. »Wir können im Bus schlafen.«
Alice biss sich auf die Lippe und blickte hoffnungsvoll auf die Straße. Je länger sie warteten, umso fröhlicher wirkte sie. Zach war ziemlich sicher, dass sie glaubte, der Bus würde nicht kommen, sodass sie alle wieder nach Hause gehen könnten. Gleichzeitig hätten sie mitten in der Nacht ein hübsches kleines Abenteuer erlebt. Zach ahnte, dass Alice nicht als Erste aufgeben wollte, aber noch viel weniger wollte sie wirklich wegfahren. Falls ihre Großmutter etwas über diesen Ausflug erfuhr, dürfte sie nie mehr für die Aufführung proben oder woanders übernachten oder mit Zach und Poppy rumhängen. Nie wieder.
Zach verstand das alles; sie tat ihm leid, aber nicht so sehr, dass er ihr da raushalf. Er war selbstsüchtig genug, sie dabeihaben zu wollen.
»Noch zwei Minuten«, sagte Alice. »Dann kehren wir um. Mir ist total kalt.«
Poppy würdigte sie keiner Antwort.
»Eine Minute, neunundfünfzig Sekunden«, sagte Alice. »Eine Minute, achtundfünfzig Sekunden.«
Zach betrachtete das Haltestellenschild und sinnierte, wie es wäre, an einem Ort wie diesem anzukommen in einer anderen Stadt, in der man keine Ahnung hatte, wie man sich orientieren sollte. »Wenn wir in East Liverpool ankommen, weißt du hoffentlich, wohin wir gehen müssen, oder? Also, auf welchem Friedhof Eleanor beerdigt werden möchte und wie wir das Grab finden. Das weißt du doch alles, stimmt’s?«
Poppy öffnete den Mund, doch während sie noch mit der Antwort rang, bog weiter vorne ein Bus um die Ecke und erfasste sie mit seinen Scheinwerfern. Zach war nicht klar gewesen, wie sehr Poppy gefürchtet hatte, er werde nicht kommen, bis er den Ausdruck auf ihrem Gesicht
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