Die Puppenmacherin: Psychothriller (German Edition)
hatten sie etwas gemeinsam. Und es entzückte ihn zu sehen, wie er an der Trinkflasche saugte.
Sein Freund brauchte viel Freilauf. Morgens, bevor er zur Arbeit ging, ließ er ihn aus dem Puppenhaus, und abends, wenn er heimkam, noch einmal. Hatte er Nachtschicht, durfte er schon am Nachmittag in der Wohnung herumstöbern.
Es war das Schönste überhaupt, ihn unter seinen Pulli krabbeln zu lassen, und es rührte ihn oft zu Tränen, von ihm angeblickt zu werden.
Er hatte einen Freund. Er war nicht allein.
Auch an diesem Morgen setzte er ihn zurück ins Puppenhaus und verabschiedete sich von ihm.
Heute würde er nicht arbeiten.
Er hatte etwas anderes vor.
Nachdem Josephin Maurer sämtliche Türschlösser geöffnet hatte, schaltete sie in ihrer Wohnung ihren Laptop ein, klickte sich durch ihre Dateien und öffnete den Ordner, in dem die Bilder abgespeichert waren, die Milan ihr geschickt hatte.
Trojan setzte sich zu ihr an den Schreibtisch.
Mit einem Mal erschien auf dem Bildschirm ein Foto, auf dem sie selbst zu sehen war, sie hielt einen Blumenstrauß und eine Urkunde in den Händen und wurde von drei Frauen umringt. Eine davon konnte Trojan sofort identifizieren: Es war niemand anderes als Frida König.
Er deutete auf die andere.
»Wer ist das?«
Josephin Maurer antwortete nicht.
»Ist das etwa Karen Scheffler?«
Sie nickte kaum merklich. Mein Gott, dachte er, vor nicht einmal einer Stunde hatte er ihren entstellten Leichnam in diesem Keller erblickt.
»Mein Freund fand sie, glaube ich, ziemlich attraktiv«, sagte sie mit dünner Stimme. »Er hat ihr Komplimente gemacht. Wissen Sie, zwischen Milan und mir lief es in letzter Zeit nicht besonders. Ich bin seit dieser Geschichte nicht mehr so wie früher. Kann ihm nicht mehr das geben, was er von mir will. Aber deshalb muss er doch nicht gleich meine beste Freundin anmachen.«
Trojan drückte ihre Hand.
»Karen hat es mir erzählt. Sie hat ihn natürlich zurückgewiesen.« Sie schluckte. »Manchmal ist er so komisch zu mir, und ich hab richtig Angst vor ihm.«
Frida König und Karen Scheffler, dachte er.
Beide erstickt mit Bauschaum.
»Wer ist die dritte Frau auf dem Bild?«
»Meine Psychiaterin«, antwortete sie.
ELF
D r. Gisela Hagemuth stand am Fenster und massierte sich die Schläfen. Ihr Arbeitstag war bisher eine einzige Katastrophe gewesen, das schwüle Wetter wirkte sich negativ auf die Nerven ihrer Patienten aus, sie waren gereizter als gewöhnlich, und gerade eben hatte sie auch noch die Mutter von zwei kleinen Kindern mit Verdacht auf paranoide Schizophrenie in eine Klinik einweisen müssen. Die anschließende Sitzung mit einem fünfzehnjährigen Jungen, der an akuter Bulimie litt, hatte sie schweren Herzens abgebrochen, weil er jegliche Gesprächsbereitschaft vermissen ließ. Auch ihre zahlreichen Versuche, an diesem Vormittag in die dunkle Welt der Depressiven vorzudringen, waren alles andere als erfolgreich gewesen.
Sie versuchte ihre Aufmerksamkeit auf etwas Schönes zu lenken und ließ ihren Blick über die Bambuspflanzen in dem Dachgarten gegenüber schweifen. Hier in den Paul-Lincke-Höfen wohnten die besserverdienenden Kreuzberger, es gab immer wieder Reibereien mit der übrigen Bevölkerung aus den einfachen, unsanierten Häusern, da die Loftbewohner die Mieten in die Höhe schnellen ließen. Dr. Hagemuth war sich des Problems durchaus bewusst, dennoch schätzte sie sich glücklich über ihre weiträumige Praxis in Bestlage, schließlich arbeitete sie hart dafür.
Sie drehte sich um, drückte die Sprechtaste und bat ihre Assistentin, den nächsten Patienten hereinzulassen.
Der junge Mann war schlaksig, hatte langes Haar, das ihm weich in die Stirn fiel. Er war gekleidet, wie es sich für einen Kreuzkölln-Hipster gehörte, lässiges T-Shirt mit einer Aufschrift, die nichts zu bedeuten hatte, aber irgendwie jung und frech wirken sollte, die Jeans hingen unterhalb der Hüfte, so dass die Boxershorts sichtbar wurden, die Sneaker waren ausgetreten, und die Muschelohrhörer baumelten ihm um den Hals.
»Guten Tag«, sagte sie freundlich und deutete auf den Besucherstuhl.
Er setzte sich.
»Was führt Sie zu mir?«
Er war neu hier, die Assistentin hatte seinen Termin zwischengeschoben, weil er am Telefon zu nerven verstand.
»Es geht nicht um mich, es geht um meine Freundin.«
Dr. Hagemuth lächelte, das behaupteten viele Männer, vermutlich ein Problem aus dem Schlafzimmer.
»Um es kurz zu machen: Es handelt sich um den
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