Die Puppenmacherin: Psychothriller (German Edition)
Künstler also, dachte Trojan, und das gefiel ihm weniger. Seine eigenen künstlerischen Ambitionen waren ja frühzeitig gescheitert.
Wieder erschien ein Foto von Friederike auf dem Bildschirm. Plötzlich musste er daran denken, wie sie einmal vor vielen Jahren an einem einsamen Strand auf Lefkas die Nacht verbracht hatten, völlig allein auf ihren Trampermatten, über ihnen eine Milliarde von Sternen, sie hatten vor lauter Begeisterung nicht schlafen können. Irgendwann war der Vollmond über die Felsen gezogen, und sie hatten sich still bei den Händen gehalten. Schließlich waren sie aufgesprungen und hatten sich nackt, wie sie waren, in die Brandung gestürzt. Er hatte immerzu laut ihren Namen gerufen, beinahe irrsinnig vor Glück.
Aber wie alt waren sie damals gewesen? Zwanzig, zweiundzwanzig?
»Nächstes Foto«, sagte er.
Und Emily klickte weiter, er sah das Meer und die Sonne und den Strand, das hübsche Häuschen in den Bergen, und sie erzählte und lachte, und er zögerte den Moment hinaus, da er es ihr endlich sagen musste.
»So, das war das letzte.«
Er schwieg.
Spürte, wie sie ihn von der Seite anschaute.
»Aber du weinst ja, Paps.«
»Nein, nein, es ist nur –.« Er rieb sich das Gesicht. »Ich freue mich so für dich, dass es dir dort gefallen hat.«
Sie schlang die Arme um ihn und sprach leise an sein Ohr: »Jetzt fahren wir beide weg, Paps. Du hast dir deinen Urlaub verdient, hast immer so viel gearbeitet. Und weißt du was? Ich glaube, wir werden eine richtig gute Zeit an der Ostsee haben. Ich hab auch schon im Internet nach dem Wetter geschaut, es soll super schön werden.«
Er schluckte, stand wortlos auf, ging in die Küche und holte sich noch ein Bier. Als er wieder bei ihr war, legte sie die Stirn in Falten.
»Was ist los mit dir?«
Er setzte sich und begann, ohne die grausamen Einzelheiten zu nennen, von den Mordfällen zu erzählen, die er aufzuklären hatte.
»Das muss warten. Deine Kollegen schaffen das auch mal ohne dich.«
»Emily, das geht leider nicht.« Er holte tief Luft. »Mein Chef, Landsberg, du kennst ihn –.« Er seufzte. »Es gibt eine Urlaubssperre.«
Sie blieb lange Zeit still.
Er murmelte noch einige Entschuldigungen, bis sie hervorstieß: »Das ist echt Scheiße von ihm! Sag ihm das!«
»Emily –.«
»Ich hab mich so sehr auf den Urlaub gefreut. Und jetzt lässt du mich einfach im Stich.«
Als er die Hand nach ihr ausstreckte, wich sie vor ihm zurück.
»Nie hast du Zeit. Nie! Immer nur diese Morde. Und weißt du was, ich glaube, das ist der eigentliche Grund, warum es mit dir und Mama nicht geklappt hat: Weil du immer nur arbeitest, immer nur diesen Verbrechern hinterherjagst. Und wir bleiben dabei auf der Strecke.«
»Emily, bitte –.«
»Lass mich. Ich bin echt wütend auf dich. Du musst Verabredungen einhalten, Papa, verstehst du das denn nicht?«
»Natürlich verstehe ich das.«
»Worauf soll ich mich denn überhaupt noch verlassen? Ich fahre mit Mama mit, ich ertrage ihren doofen neuen Freund, ich zähle die Tage bis zu unserer Reise, komme hierher, und niemand ist da. Ich traue mich schon gar nicht mehr auf deinem Handy anzurufen, weil es dich ja doch nur bei der Arbeit stört.«
»Du kannst mich jederzeit –.«
»Lass mich ausreden! Ich – ich glaube, du willst es gar nicht anders, du musst dir mit deiner Arbeit irgendwas beweisen. Du willst den Helden spielen, der du gar nicht bist.«
»Aber Emily, das stimmt doch überhaupt nicht, ich hab mich auf den Urlaub genauso gefreut wie du, und ich werde alles dafür tun, um es wiedergutzumachen.«
»Nichts wirst du, du sagst das immer nur, aber es ändert sich nichts.«
Sie stand auf. Ihr Gesicht war gerötet.
»Und weißt du was: Ich hasse dich und Mama dafür, dass ihr euch getrennt habt. Ich hasse euch!«
Es traf ihn wie ein Faustschlag.
Sie verschwand in ihrem Zimmer und knallte hinter sich die Tür zu.
Er blieb einfach auf dem Sofa sitzen und rührte sich nicht.
Sie hat recht, dachte er, sie hat vollkommen recht. Ich hab auf ganzer Linie versagt. Was bin ich nur für ein schlechter Vater.
Nach einer Weile hörte er, wie sie ins Bad ging. Als sie zurückkam, rief er nach ihr, doch sie antwortete nicht.
Noch viel später ging er nachschauen, öffnete ihre Zimmertür einen Spaltbreit. Da lag sie, eingerollt auf dem Bett unter dem Tokio-Hotel-Poster, und schlief. Sie hatte sogar den Teddybären mit der eingebauten Spieluhr an sich gedrückt, ein Relikt aus ihrer frühen
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