Die Puppenspieler
mich verschont, bis ich eure Bibliotheken vervollständigt hätte.«
Nun weinte Poliziano offen, und Mario biß sich auf die Lippen. Das ist nicht gerecht, dachte er und haderte mit seinem Gott wie ein rebellisches Kind. Das ist nicht gerecht. Lorenzo ist erst dreiundvierzig, und wir brauchen ihn. Wir brauchen ihn.
Aus dem benachbarten Raum drang Lärm und erregtes Gemurmel. Mario blickte zur Tür und erstarrte, als Fra Girolamo Savonarola hereinrauschte, unbekümmert um den Aufruhr, den er verursachte. Er faßte sich schnell und trat der schwarzen Gestalt in den Weg, als wolle er sie aufhalten. Er wußte nicht, wie oder warum Savonarola hierhergekommen war, und es war ihm auch gleichgültig.
»Bruder«, sagte er so höflich wie möglich zu dem Dominikaner, »dies ist nicht der Zeitpunkt für eine weitere Predigt über Tyrannei.« Dann brach seine mühsame Zurückhaltung zusammen, und er setzte erbittert hinzu: »Habt Ihr nicht schon genug angerichtet?«
Die Augen des Priors von San Marco verengten sich, als er Mario wiedererkannte. Mit einer hochmütigen Kopfbewegung wies er auf das Bett. »Er«, sagte Savonarola, »hat um meine Anwesenheit gebeten, und wie Ihr wißt, Bruder, haben wir nicht das Recht, einem Sterbenden unseren geistlichen Beistand zu verweigern, selbst wenn es sich um einen verbrecherischen Tyrannen handelt.«
Mario wollte gerade aufgebracht antworten, daß Lorenzos Beichtvater ihm bereits die Absolution und die letzte Ölung erteilt hatte, doch das Oberhaupt der Familie Medici selbst unterbrach ihn. »Fra Girolamo, seid Ihr das?«
Mit einer einzigen Handbewegung schob der Dominikaner Mario beiseite und trat an das Bett. Aus den Mienen der Medici-Kinder sprach Abneigung, bei Piero sogar Haß, doch sie machten ihm Platz. Er kniete nicht nieder, sondern blieb vor dem liegenden Lorenzo stehen, streifte langsam seine Kapuze herunter.
»Ihr habt mich gerufen.«
»Ich möchte in Frieden mit allen Menschen sterben, Padre, auch mit meinen Feinden.«
Savonarola mußte sich ein wenig vorbeugen, um Lorenzos geflüsterte Worte zu verstehen, und in Mario, der wußte, daß Il Magnifico zwar nicht nachtragend war, aber durchaus über einen etwas boshaften Sinn für Humor verfügte, tauchte plötzlich der Verdacht auf, daß Lorenzo absichtlich so leise sprach. Es sähe ihm ähnlich. Doch er schob den Gedanken schnell wieder beiseite. Lorenzo war in seinem Zustand gewiß jenseits aller Ironie, auch wenn Savonarola sich von Satz zu Satz ein wenig tiefer beugen mußte.
»Ich bin nicht Euer Feind, Lorenzo de'Medici«, entgegnete der Mönch mit einem Unterton von Empörung, »das wäre unchristlich. Ich mißbillige nur Eure Taten.«
»Dann gewährt mir Euren Beistand vor Gott, Padre.«
»Haltet fest am Glauben.«
»Das tue ich.«
»Bessert Euch.«
»Ich will es versuchen.«
»Begegnet Eurem Tod, wenn es soweit ist, mit Mut.«
»Ich bin bereit, wenn es Gottes Wille ist, daß ich sterben soll.«
»Dann werden Euch Eure Sünden vergeben.«
»Gebt mir Euren Segen, Vater.«
Die schwarze Gestalt, die sich über Lorenzo de'Medici beugte und das Kreuz schlug, erinnerte Mario an einen düsteren Unglücksvogel, doch er spürte auch, wie seine Achtung vor Savonarola wieder stieg. Ganz gleich, wie erbittert der Dominikaner Lorenzo bekämpft haben mochte, er hatte davon abgesehen, diesen Kampf bis an die Schwelle des Todes zu tragen, und sich auf die wichtigste Aufgabe eines Priesters besonnen: Mittler zu sein zwischen Gott und den Menschen und den Leidenden caritas zu zeigen, Nächstenliebe.
Mario hatte sich während der Tage in Careggi bemüht, die allgegenwärtige Trauer nicht an sich heranzulassen; er war hier, um zu trösten, nicht, um selbst in Klagen zu versinken. Aber als er Savonarola schließlich gehen sah und Lorenzos immer kürzer werdenden Atemzügen lauschte, wünschte er sich nichts so sehr wie die Freiheit, wie Angelo Poliziano, Pico oder die übrigen Medici um Lorenzo weinen zu können. Und nicht nur um Lorenzo, sondern um das Florenz seiner Jugend, das mit ihm starb, denn Mario wußte, daß nun nichts mehr so sein würde wie früher.
Es dauerte nicht mehr lange. Als Lorenzo aufhörte zu atmen, knieten alle Anwesenden nieder, um zu beten. Danach zogen sich die Platoniker, Mario und die Diener, die sich im Raum befunden hatten, zurück. Pico fragte nach Fra Savonarola, erfolglos. Der Mönch hatte Careggi bereits wieder verlassen.
Auch Mario wollte sich am nächsten Tag wieder nach Florenz
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