Die Puppenspieler
gewonnen hast«, sagte Jakob Fugger.
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D ER F RÜHLING IN F LORENZ wollte sich in diesem Jahr einfach nicht einstellen; es war, dachte Mario Volterra und rieb sich die kalten Hände, als trauerte selbst die Natur. Niemand in der Villa der Medici in Careggi machte sich noch Illusionen über Lorenzos Gesundheitszustand; Il Magnifico lag im Sterben, und als er sich im März in das alte Landhaus seiner Familie zurückzog, folgten ihm seine Freunde dorthin. Mario selbst war von Pico della Mirandola um seine Anwesenheit gebeten worden. Pico hatte sich Savonarolas wegen endgültig mit den übrigen drei Platonikern zerstritten und hatte auf Marios Vorschlag hin einige Wochen in Santo Spirito verbracht, wo ihn die Nachricht von Lorenzos Aufbruch nach Careggi erreichte. Nun lag über dem alten Haus eine drückende Stille, die Mario mit der Zeit immer unerträglicher schien. Erst gestern hatte Lorenzo, der immer noch bei vollem Bewußtsein war, mit seinem gewohnt scharfen Witz gesagt: »Ihr seht, meine Herren, ein Fremder ist in mein Haus getreten, doch er hält es nicht für nötig, mich aufzusuchen.«
Mario blinzelte unwillkürlich und versuchte, das Brennen der aufsteigenden Tränen zu ignorieren. Nur Lorenzo de'Medici war imstande, sich noch über sein Warten auf den Tod lustig zu machen, und es war eine Gnade Gottes, daß er so sterben konnte, wie er gelebt hatte. Die zusammengefallene Gestalt des alten Marsilio Ficino drängte sich plötzlich an Mario vorbei, und der Mönch lehnte sich gegen die Wand des Zimmers, in dem sie alle warteten, um Ficino nicht den Weg zu versperren. Er spürte die rauhen Backsteine unter seinen Händen, und dachte plötzlich, wie seltsam es war, daß Lorenzo nicht nach Poggio a Caiano gegangen war, der Villa, die er selbst entworfen und die immer sein Lieblingsaufenthalt außerhalb von Florenz gewesen war. Das Haus in Careggi dagegen war verhältnismäßig klein und schon lange im Besitz der Medici – die Villa einer erfolgreichen Kaufmannsfamilie, die vor etwa hundert Jahren zu Geld gekommen war.
Oder doch nicht so seltsam. Der alte Cosimo de'Medici war hier gestorben, in Anwesenheit von Marsilio Ficino, wie sich Mario nun erinnerte. Wahrscheinlich war der alte Philosoph deswegen hinausgestürzt, weil er es nicht mehr ertragen konnte, noch einen geliebten Gönner zu verlieren. Vielleicht hatte Lorenzo am Ende zu seinen Ursprüngen zurückkehren wollen; Mario warf einen Seitenblick auf Piero de'Medici, der mit seinen Geschwistern neben Lorenzos Lager kniete. Am Vormittag hatte Lorenzo alle Anwesenden hinausgeschickt, um zwei Stunden lang alleine mit Piero zu sprechen, und danach hatte der junge Mann sich für einige Zeit entschuldigt. Er war erst vor ein paar Minuten zurückgekehrt und sah immer noch ein wenig mürrisch aus, was allerdings, wie Mario zugeben mußte, bei Piero keine Seltenheit war.
Neben ihm zuckte Pico della Mirandola zusammen, als Poliziano sich ihnen näherte. »Pico«, sagte der Dichter sehr ernst, »wäre es nicht Zeit, sich zu versöhnen – jetzt? Lorenzo hat mir gerade gesagt, er möchte uns beide wieder zusammen sehen.«
Im letzten halben Jahr hatte sich Pico in einen hageren Asketen nach Art Savonarolas mit fast kahlgeschorenem Haupt verwandelt. Mario konnte beobachten, wie der Gelehrte errötete und vernehmlich schluckte. Im Moment fehlte ihm allerdings das Mitleid mit Picos Seelenqualen. Wenn er sich noch nicht einmal an Lorenzos Totenbett zu einer Versöhnung überwinden konnte, dann war sein Ringen um wahres Christentum ohnehin umsonst. Mario bat Poliziano, sie kurz zu entschuldigen, zog Pico beiseite und sagte in beschwörendem Flüsterton zu ihm: »Weise jetzt Polizianos Hand zurück, und du wirst es dir dein Leben lang nicht verzeihen können!«
»Er hat Fra Savonarola einen machthungrigen Scharlatan genannt!«
Mario erwiderte nichts, sondern schaute Pico nur unverwandt an, bis seinem ehemaligen Mentor und Freund abermals das Blut in die Wangen stieg. Pico wandte sich ab, holte kurz Luft und trat dann auf Poliziano zu.
»Angelo«, sagte das ehemals jüngste Mitglied der Universität von Florenz, »verzeih mir.«
Poliziano umschloß seine Hand, und gemeinsam traten sie vor Lorenzo hin. Der Herr von Florenz schaute mit einem schwachen Lächeln zu ihnen auf.
»Es geschehen noch Zeichen und Wunder«, wisperte er mühsam. »Die beiden stursten Köpfe von Florenz. Zu schade, daß ich nicht öfter als einmal sterben kann. Ich wollte nur, der Tod hätte
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