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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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der Vorstellung, Ursula zu heiraten, und er erkannte, wie stark diese Versuchung war. Während er sich vorbeugte, um die Figuren in Augenschein zu nehmen, umklammerte er mit den Händen die Tischkanten. Das feste, schneidende Holz gab ihm Halt und erinnerte ihn daran, daß er seine gesamte Aufmerksamkeit für Jakob Fugger brauchte.
    Er drehte das Schachbrett herum, und Jakob hob fragend eine Augenbraue. »Ich werde diesmal mit Schwarz spielen«, sagte Richard. Bisher hatte ihm Jakob immer den Vorteil des Eröffnungszuges eingeräumt, doch er war entschlossen, diese Partie zu gewinnen, und zwar ohne jede Hilfe.
    »Wieviel Gewinn erwartet Ihr denn«, erkundigte er sich, während er auf Jakobs ersten Zug wartete, »wenn der nächste Papst, wer auch immer er sein sollte, Euch den Ablaßhandel zur nächsten Jahrhundertwende im Heiligen Römischen Reich überträgt?«
    Jakob setzte seinen Bauern. Als Richard zog, kommentierte er anerkennend: »Sehr gut«, und Richard wußte nicht, ob sich das auf das Spiel oder auf seine Erkenntnis bezüglich des Ablaßgeschäfts bezog. Im Grunde war das auch gleichgültig.
    »Ich kann mir nicht vorstellen«, sagte Richard, »daß Ihr noch acht Jahre warten werdet.«
    »Nein.« Der weiße Läufer in Jakobs Hand fing das Licht des Kaminfeuers ein. »Das Jubeljahr ist ein nützliches Datum, aber Ablässe kann ein Papst, und zumal ein Papst, der Geld, Kanonen und Söldner braucht, auch zu anderen Gelegenheiten erlassen. Zu einem Kreuzzug gegen die Türken beispielsweise. Seine Majestät der König wäre sehr bereit, einen solchen Kreuzzug zu führen.«
    »Und deswegen braucht Ihr mich dazu?«
    »Rom«, entgegnete Jakob, ohne seinen Blick von den Schachfiguren abzuwenden, »ist von allen Städten dieser Welt nicht nur die reichste, sondern auch die gefährlichste, und deshalb brauche ich dort mehr als sonst irgendwo – einen Übermittler von Wissen.«
    Richard schloß kurz die Augen. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, den er halb gefürchtet, halb herbeigewünscht hatte; der Zeitpunkt für seine erste Auseinandersetzung mit Jakob seit jenem Sommerabend in seinem zweiten Jahr in Augsburg. Er machte erst seinen Zug, dann sagte er: »Das ist zwar sehr schmeichelhaft für mich, aber ich werde nicht gehen.«
    Scheinbar bedenkenlos schlug Jakob mit einem seiner Läufer Richards Springer und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Gesicht lag im Halbdunkel, und die Flammen zeichneten unregelmäßige Schatten darauf. Richard wartete darauf, daß Jakob ihn nach dem Grund fragte, doch er wartete vergeblich. Das Schweigen machte ihn nervös, obwohl er erkannte, daß Jakob genau dies beabsichtigte; die nächsten Züge wurden nur von ihrem Atem begleitet, und als Richard zum zweiten Mal hintereinander eine von Jakobs Figuren vom Spielfeld entfernen konnte, glaubte er mit aufsteigender ungläubiger Freude, tatsächlich gewinnen zu können. Das veranlaßte ihn, als erster die Stille zu durchbrechen und seine sorgsam vorbereitete Erklärung vorzubringen.
    »Ich bin durchaus bereit, weiter für das Unternehmen tätig zu sein, aber nicht in Rom und nicht, wenn es um Geschäfte wie den Ablaßhandel geht. Denn Ihr sollt wissen, daß ich den Verkauf von Ablässen zutiefst mißbillige.«
    Einmal ausgesprochen, klang es unerwartet selbstgerecht. Jakob nickte nur und sagte: »Sprich weiter.«
    Die Gestalt von Fra Savonarola, wie er von der Kanzel des Duomo predigte, kam Richard überraschend zu Hilfe, und er wiederholte, was er den Mönch hatte sagen hören: »Das Geschäft mit Seelen ist ein Grundübel der Kirche, wie überhaupt die Verbindung zwischen Kirche und Handel. Und wenn ich mich daran beteilige, mache ich mich mitschuldig an dem, was ich verurteile.«
    »Sprich weiter.«
    »Und daher kann ich nicht nach Rom gehen«, schloß Richard so heftig wie möglich und bemerkte, daß Jakob ihm mit dem nächsten Zug seine Dame nehmen konnte. Er biß die Zähne zusammen und wartete auf das Fallbeil.
    »Ohne die Aufrichtigkeit deiner Beweggründe anzuzweifeln«, sagte Jakob, zog, griff nach Richards Dame und hielt sie hoch, als betrachte er sie prüfend, »würde ich sie kaum als logisch bezeichnen. Fangen wir mit dem schwerwiegendsten an. Du mißbilligst also den Ablaßhandel, den Verkauf von Absolution gegen Geld, wenn ich dich richtig verstehe. Tatsache ist, daß hier eine große Nachfrage besteht. Die Menschen brauchen Vergebung und Erlösung, fürchten sich aber häufig davor, beides durch Beichte und Buße zu

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